erforschen wollen, nicht das Nächste ausser Acht lassen, und irrthümlich das, was der Erde zukommt, den Himmelskörpern zuschreiben.
Da schon nachgewiesen ist, dass die Erde die Gestalt einer Kugel hat, so halte ich dafür, dass untersucht werden muss, ob aus ihrer Form auch eine Bewegung folgt, und welchen Ort sie im Weltall einnimmt? — Ohne Dieses ist keine sichere Berechnung der am Himmel vor sich gehenden Erscheinungen zu finden. Der grösste Theil der Schriftsteller stimmt freilich darin überein, dass die Erde in der Mitte der Welt ruhe, so dass sie es für unbegreiflich und sogar für lächerlich halten, das Gegentheil zu meinen. Wenn man jedoch die Sache sorgfältiger erwägt, so wird man einsehen, dass diese Frage noch nicht erledigt, und deshalb keinesweges gering zu achten ist. Jede Ortsveränderung, welche wahrgenommen wird, rührt nämlich von einer Bewegung entweder des beobachteten Gegenstandes, oder des Beobachters, oder von, natürlich verschiedenen, Bewegungen Beider her; denn wenn der beobachtete Gegenstand und der Beobachter sich in gleicher Weise und in gleicher Richtung bewegen: so wird keine Bewegung wahrgenommen. Nun ist es aber die Erde, von wo aus der Umlauf des Himmels beobachtet, und wo derselbe unsern Augen vorgeführt wird. Wenn daher der Erde irgend eine Bewegung zukäme, so würde diese an Allem, was sich ausserhalb jener befindet, zur Erscheinung kommen, aber in entgegengesetzter Richtung, gleichsam als ob Alles an der Erde vorüber zöge; und dieser Art ist denn vorzüglich die tägliche Kreisbewegung. Denn diese scheint die ganze Welt zu ergreifen und zwar Alles, was ausserhalb der Erde ist, mit alleiniger Ausnahme der Erde selbst. Wenn man aber zugäbe, dass dem Himmel nichts von dieser Bewegung eigen sei, sondern dass die Erde sich von Westen nach Osten drehe, und wenn man dies ernstlich in Bezug auf den erscheinenden Auf- und Untergang der Sonne, des Mondes und der Sterne erwöge: so würde man finden, dass es sich so verhält. Da der Himmel, der Alles enthält und birgt, der gemeinschaftliche Ort aller Dinge ist, so lässt sich nicht sogleich verstehen, warum nicht eher dem Enthaltenen als dem Enthaltenden, dem Gesetzten, als dem Setzenden, eine Bewegung zugeschrieben wird. Dieser Meinung waren wirklich die Pythagoräer Heraklid und Ekphantus[1] und der Syracusaner Nicetas bei Cicero[2], indem sie die Erde in der Mitte der Welt sich drehen liessen. Sie waren nämlich der Ansicht, dass die Gestirne durch das Dazwischentreten der Erde unter- und durch das Zurückweichen derselben aufgingen. Aus dieser Annahme folgt der andere, nicht geringere Zweifel über den Ort der Erde, obgleich fast von Allen angenommen und geglaubt worden ist, dass die Erde die Mitte der Welt einnehme. Wenn daher Jemand behauptete, dass die Erde sich
- ↑ [5] 4) Diese Stelle findet sich: Plutarchus, Chaeronensis, Περὶ τῶν ἀρεσϰόντων τοῖς φιλοσόφοις . βιβλίον τρίτον. Περὶ ϰινήσεως γῆς . ιγ'. seu De placitis philosophorum Lib. III. Cap. 13.
- ↑ [5] 3) Nicht Nicetus oder Nicetas, sondern Hicetas. Der wahre Name dieses Pythagoräers ist: Ἱϰέτης, oder dorisch: Ἱϰέτας. So lautet er beim Diogenes Laertius. Vergl. Ideler, Ueber das Verhältniss des Copernicus zum Alterthum, p. 27. Die Stelle, auf welche sich hier Copernicus bezieht, findet sich bei Cicero, Academicae quaestiones Lib. IV. Cap. 29 und lautet: „Nicetas Syracusius, ut ait Theophrastus, caelum, solem, lunam, stellas, supera denique omnia stare censet: neque praeter terram, rem ullam in mundo moveri quae cum circum axem se summa celeritate convertat et torqueat, eadem effici omnia, quasi stante terra caelum moveretur. Atque hoc etiam Platonem in Timaeo dicere quidam arbitrantur, sed paullo obscurius.“ — Zu deutsch: — Der Syracuser Nicetas hält dafür, wie Theophrast sagt, dass der Himmel, die Sonne, der Mond, die Sterne, endlich alles über der Erde Befindliche, stillstehe, und dass sich Nichts in der Welt bewege, ausser der Erde. Während diese sich mit der grössten Geschwindigkeit um ihre Axe wälze und drehe, werde Alles ebenso bewirkt, als ob sich bei stillstehender Erde der Himmel drehe. Einige sind der Ansicht, dass dies auch Plato im Timäus sage, aber etwas dunkler. — Ueber des Hicetas Ansichten vergl. auch Diogenes Laertius, Vitae philosophorum VIII, 85.
Nicolaus Copernicus: Nicolaus Coppernicus aus Thorn über die Kreisbewegungen der Weltkörper. Ernst Lambeck, Nürnberg und Thorn 1879, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kreisbewegungen-Coppernicus-0.djvu/43&oldid=- (Version vom 9.8.2016)