Wenn wir auf die angegebene Weise die Zeit der mittleren Conjunction oder 0pposition dieser beiden Gestirne, nebst ihrer Bewegung erhalten haben, so ist ihre wahre Distanz, in welcher sie sich einander vorausgehn oder nachfolgen, dazu nöthig, die wahre Conjunction oder Opposition zu finden. Denn wenn der Mond in der Conjunction oder Opposition der Sonne vorausgeht, so ist klar, dass die wahre erst dann eintreten wird, wenn die Sonne die gesuchte wahre bereits passirt hat. Dies ergiebt sich aber aus den beiderseitigen Prosthaphäresen. Wenn nämlich beide Null oder gleich sind, und dabei gleiche Vorzeichen haben, d. h. beide addirt oder beide subtrahirt werden müssen: so treffen offenbar die wahren Conjunctionen oder Oppositionen mit den mittleren in demselben Zeitpunkte zusammen. Wenn sie aber ungleich sind, so ergiebt ihre Differenz selbst den Abstand beider; und zeigt, dass dasjenige Gestirn vorausgeht oder folgt, dessen Prosthaphärese zu addiren oder zu subtrahiren ist. Wenn aber beide verschiedene Vorzeichen haben, so geht dasjenige Gestirn um so mehr voraus, dessen Prosthaphärese abgezogen werden muss, während ihre Summe den Abstand der Gestirne ergiebt. Diesen können wir danach abschätzen, wieviel vom Monde in den ganzen Stunden durchlaufen werden kann, indem wir auf jeden Grad des Abstandes zwei Stunden rechnen. So nehmen wir, wenn zum Beispiel der Abstand ungefähr 6° beträgt, 12 Stunden; zu diesem so bestimmten Zeitintervall suchen wir die wahre Bewegung des Mondes von der Sonne, was leicht auszuführen ist, da wir wissen, dass die mittlere Bewegung des Mondes 1° 1′ in zwei Stunden zurücklegt, dass aber die stündliche und wahre Bewegung der Anomalie bei Voll- und Neumond nahe 50′ beträgt, was in sechs Stunden eine gleichmässige Bewegung von 3° und so vielen Minuten ergiebt, als die wahre Bewegung der Anomalie fünf Grade enthält. Hiermit suchen wir in der Tafel der Mondprosthaphäresen, die Differenz zwischen den Prosthaphäresen, und addiren dieselbe zu der mittleren Bewegung, wenn die Anomalie in dem untern Theile des Kreises, ziehen dieselbe aber ab, wenn sie in dem oberen Theile liegt. Diese Summe oder Differenz ist dann die wahre Bewegung des Mondes in den zu Grunde liegenden Stunden. Diese Bewegung genügt nun, wenn dieselbe der vorher bestehenden Distanz gleich ist; sonst dividiren wir die mit der Anzahl der geschätzten Stunden multiplicirte Distanz durch diese Bewegung, oder dividiren durch die erhaltene wahre stündliche Bewegung die einfache Distanz; und erhalten dann die wahre Differenz der Zeit zwischen der mittleren und wahren Conjunction oder Opposition in Stunden und Minuten. Diese addiren wir zu der mittleren Zeit der Conjunction oder Opposition, wenn der Mond der Sonne voraus ist, oder dem Orte der Sonne diametral gegenübersteht;
Nicolaus Copernicus: Nicolaus Coppernicus aus Thorn über die Kreisbewegungen der Weltkörper. Ernst Lambeck, Thorn 1879, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kreisbewegungen-Coppernicus-0.djvu/276&oldid=- (Version vom 24.3.2017)