die Rede und Mareile tat es wohl zu schweigen. Sie wußte, hier war es Sitte, seine Not und seine Wunden rücksichtsvoll zu verdecken, um die Harmonie nicht zu stören. Der Mittsommer war eine stille Zeit. Die Jalousien an der Sonnenseite des Schlosses wurden niedergelassen. Die Zimmer lagen im Dämmerlichte wie im Schlafe, unter dem leisen Brummen der Sommerfliegen und in dem Dufte der in den Vasen welkenden Blumen. Alte Tanten aus fernen Fräuleinstiften zogen in das Schloß ein; Tante Riecke, Tante Lolo, lange Losnitzer Feldherrennasen unter den schwarzen Spitzen des Altjungfernhäubchens. Sie füllten die Räume mit ihren verschollnen Parfüms Verthiver und Esbouquet und die Abende mit ihren verschollnen Geschichten.
Das Inspektorhaus war unerträglich; voller Sonne, Fliegen, Suppengeruch. Mareile wanderte daher schon am Morgen, unter dem roten Sonnenschirm, über den Hof in das Schloß. Dort saß sie gern allein und müßig in der Bibliothek und sann, sann dem nach, was kommen mußte. Sie fühlte sich reich und müde, wie nach einer Ernte. Oh, sie hatte keine Eile! Die Erlebnisse des Lebens konnten noch ein wenig warten; jetzt wollte sie ruhen und ihre Schönheit fühlen, wie ein Rosenstock mit all seinen Knospen unbeweglich dasteht in der Mittagsonne, froh der Gewißheit des Blühens.
Günther, nervös und unruhig durch die Zimmer wandernd, blieb in der Türe des Bibliothekzimmers stehen. „Sie sitzen hier so eigentümlich,“ sagte er zu Mareile. „So – so – als ob Sie bei etwas Angenehmem wachhielten, das eben eingeschlafen ist.“
„Das ist hübsch, was Sie da sagen,“ meinte Mareile.
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/75&oldid=- (Version vom 1.8.2018)