Es war Mai geworden. Frau Ziepe saß müßig und gedankenvoll in ihrem Wohnzimmer. Vater Ziepe kam zum Zehnuhrfrühstück heim. „Na, Imbiß her!“ rief er sehr laut. Frau Ziepe holte Schnaps und Wurst, aber so vornehm und ergeben, daß ihr Mann sie fragte: „Was is wieder los?“
„Mareile hat geschrieben,“ antwortete sie und machte ihr unzufriedenes Gouvernantengesicht.
„So, unsere Malerin,“ Ziepe lachte breit. „Stimmt’s da nich? Oder kommt’s Kind?“
Dieses Lachen, der Stallgeruch, alles verletzte Frau Ziepe heute an ihrem Manne und sie wurde um so vornehmer.
„Mein Gott! Ich versteh’s selbst nicht recht. Es sind Nuancen. Aber mir ist so bang.“
„Nuancen – Unsinn, Mama!“ fuhr Ziepe auf. „Zanken sie sich, oder läuft er zu Frauenzimmern, oder was is?“
Frau Ziepe weinte jetzt. „Sie schreibt von dem großen Mißverständnis ihrer Ehe und von Recht auf Freiheit – und Enttäuschung – ich weiß nicht – aber gut ist das nicht.“
„Quatsch,“ donnerte Ziepe. „Schreib ihr, ich hab’ dich auch enttäuscht, das is man so … und wenn eine ’nen Mann hat, soll sie ihn halten, Männer sind heutzutage rar. Das sag’ ich, Vater Ziepe, und basta.“ Er goß einen Gilka herunter und ging zu seiner Mistfuhre hinaus. –
Auch im Schloß erregte Mareilens seltsame Ehegeschichte alle. Die Gräfin Blankenhagen in einem Reitkleide in der
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/70&oldid=- (Version vom 1.8.2018)