Natürlich! Tante Seneïde ließ auf den Tod nichts kommen, das wußte man!
Jenseits des Zaunes begannen die Stoppelfelder schon rot zu werden in der Abendsonne. Die weidenden Gänse zogen schnatternd heim, und von den Wiesen wehte es feucht herüber. „Beating, geh hinein!“ rief die Baronin.
Am Abend kam das Zusammensitzen im Wohnzimmer, die Gespräche über die Gravensteiner Äpfel, über Pastors und Ahlmeyers, über die Gänse und die Zeitungen, und alles bekam in diesen Gesprächen einen kleinen, friedlichen Nimbus. Die Meierin kam und berichtete vom Vieh: Kora hatte gerindert, Malo zum ersten Male gekalbt. Um zehn Uhr war die Abendandacht. Die Mandelkoch erschien mit ihrem strengen Pensionsvorsteheringesicht; Lisette, die Kammerjungfer, die Mägde. Sie brachten etwas von der feuchten Herbstluft in den schweren, wollenen Kleidern mit und standen schläfrig da, während Seneïde das Gebet vorlas mit ihrer singenden, erregten Stimme, wie ein schwärmerisches Wiegenlied für die arbeitsmüden Leute.
Als Beckmann die Lampen im linken Flügel anzündete und Beate still und bleich im Gartensaal saß und auf Günthers Rückkunft wartete, schien es ihr, als beginne jetzt wieder eine Arbeit, zu der sie sich ein wenig müde fühlte. Und dann war Günther da. Die helle, laute Stimme tönte durch das Haus. „Das ist hübsch! So ’ne Frau, die einen erwartet, das ist ja ’ne raffinierte Erfindung!“ Draußen in Berlin hatte er sich neue Begeisterung für die „Heiligkeit“ von Kaltin geholt, meinte er.
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/51&oldid=- (Version vom 1.8.2018)