Aus dem Badezimmer erscholl ein gleichmäßiges Plätschern. Günther von Tarniff saß in seinem rotgelben Badebassin. Die lauwarme Dusche wurde in der Morgensonne ganz blank – fließendes Kristall. Das war so hübsch und angenehm, daß Günther sich nicht davon trennen konnte. Er saß da schon geraume Zeit und registrierte die behaglichen Empfindungen, die über seinen Körper hinglitten … wachsam und aufmerksam, wie er jedes angenehme Gefühl in sich zu verfolgen pflegte, als müßte aus dieser Addition sich ein Glück herausrechnen lassen.
„Ziehen Herr Graf die neuen Weißen an?“ fragte Peter aus dem Nebenzimmer.
„Ja. Gefallen sie dir nicht?“ rief Günther zurück.
„’ne neue Mode. Wird man sehn,“ meinte Peter.
Nun mußte Günther heraus. Peter rieb ihn behutsam mit einem weichen Tuche ab. Günther pflegte seinen Körper wie ein Brahmane. Er bewunderte ihn und achtete ihn, als die Tafel, auf der das Leben viele, wichtige Genüsse zu verzeichnen hat.
„Frau Gräfin waren schon auf, bei der Morgenandacht,“ berichtete Peter. „Ja, bei den alten Herrschaften im Flügel ist Morgenandacht mit den Leuten vom Alten Testament, wie die Amalie sagt.“
„Teufel. Dann sind wir hier das Neue Testament – was? Bedeutend freche Jungfrau, die Amalie. Und du?“
„Gott, ich!“ Peter zog die Augenbrauen über den kleinen Lithauer Augen empor: „Heute bin ich dabei gewesen. So ’n mal. Sonst, der Beckmann geht nich –“
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)