„Bitte,“ unterbrach Beate sie. „Sprich nicht. Ich ertrag’ es nicht. Geh Recht –! Eine wie du hat kein Recht.“
Mareiles Augen wurden durchsichtig und golden, dann wandte sie sich um und ging, sie lief fast aus dem Zimmer.
„Gott, sind solche Augen entsetzlich!“ dachte Beate. So etwas, wie sie jetzt empfand, mußte derjenige fühlen, der zum ersten Male eine Wunde schlägt, wenn das fremde Blut warm über seine Hände fließt. Beate besorgte dann ihre Morgengeschäfte, prüfte den Speisezettel des Herrn Miespeck, sah nach Went, legte die Astern auf den Frühstückstisch; brachte die hübsche, harmonische Lebensmaschine in Gang. Endlich hörte sie die Türen gehen, hörte Günthers lustige Stimme. Er hielt Peter einen Vortrag. „Ja, allen gehört er,“ dachte Beate, „Eve und Mareile und Peter. Von allen will er bewundert und geliebt sein. Was war er? Ein Phantom, an das er selbst und sie, Beate, und die andern glaubten und doch nicht zu fassen war.“ Bis in die Seele hinein fror es Beate bei diesem Gedanken. Günther kam.
„Guten Morgen, Herz,“ rief er. „In der Nacht ist nichts passiert, hör’ ich. Gott, siehst du bleich aus! Eine schöne, weiße Mumie.“ Er beugte sich auf Beate nieder, um sie zu küssen. „Jetzt,“ sagte sich Beate und sie begann zu sprechen in dem harten, kalten Ton, der ihr selbst fremd klang: „Ich, ich wollte dir sagen, Mareile verläßt Kaltin, heut. Ich – ich habe sie fortgeschickt.“
Günther errötete, dann machte er eine Handbewegung, die „Nichts zu machen“ bedeuten sollte. Es wurde still im Gemach; Günther schritt auf und ab. Er fühlte sich sehr elend. Er empfand Mitleid um sich, mit Mareile, mit Beate.
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/119&oldid=- (Version vom 1.8.2018)