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Seite:Keplers Traum 077.jpg

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dieser Anziehung ist grösser unter nahestehenden, als unter entfernteren Körpern; daher leisten sie der Trennung von einander stärkeren Widerstand, wenn sie sich noch nahestehen.

Kepler definirt hiermit die wechselseitige Anziehung zweier Körper ganz richtig und folgert, dass die Anfangsbewegung die schlimmste ist, weil die Attraktion überwunden werden muss. Man erstaunt, wie nahe er hier dem Gedanken der allgemeinen Schwere kommt; s. auch C. 99. Zwar nahm er nicht eine Gravitation im Sinne der Newtonschen Definition an, wohl aber einen Weltmagnetismus, welcher die Himmelskörper durch gegenseitige Anziehung verbinde: also ein grosses magnetisches Sonnensystem. Er hatte – beinahe 100 Jahre vor Newton – bemerkt, dass die Kraft der Sonne, mit welcher sie alle Planeten um sich hält, in grösseren Entfernungen von ihr immer kleiner werden müsse, weil die weiter von ihr abstehenden Planeten sich immer langsamer bewegen, und er stellte selbst in seinen Schriften[UE 1] die Muthmassung auf, dass diese Kraft der Sonne auf die Planeten sich umgekehrt wie das Quadrat der Entfernung dieser Planeten von der Sonne verhalten könnte, dass also die Kraft in der 2-, 3- oder 4fachen Entfernung von der Sonne nur den 4., 9. oder 16. Theil derjenigen Wirkung habe, welche sie in der einfachen Entfernung ausübt.[UE 2]

Es fehlte nur noch, von der Vermuthung zur Rechnung überzugehen, um seinem Werke die Krone aufzusetzen. An geistiger Kraft mangelte es ihm nicht, die Höhe zu erreichen, von welcher er die Abhängigheit seiner Entdeckung von einem obersten Gesetz übersehen haben würde, allein selbst wenn er diese Rechnungen angestellt hätte, er würde seine Ideen nicht voll bestätigt gefunden haben, weil zu der Zeit die zu der Calculation nöthige genaue Kenntniss der Planetenelemente noch fehlte.

Wir wissen, dass selbst Newton, als er in Verfolg seiner Forschungen daran ging, durch Rechnung zu prüfen, ob denn in der That dieselbe Kraft der Erde, die den fallenden Apfel zu sich zieht, es sei, die auch den Mond zwingt, seine Bahn um die Erde zu beschreiben, zunächst zu Resultaten kam, die diese Annahme nicht bestätigten und dass dieser Missklang aus der Ungenauigkeit des zu der Rechnung benutzten Werthes des Erdhalbmessers herrührte. Erst 20 Jahre später, als durch Picards neue Gradmessung der Halbmesser der Erde genau bestimmt war, nahm Newton hiermit seine alte Rechnung wieder auf und gelangte nun bald zu seinem grossen Gesetz, welches die Ahnung Keplers voll bestätigte.

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Astronomia nova u. s. w. 1609. K. O. O. III. Harmonice Mundi. Linz, 1619. K. O. O. V.
  2. Ueber Keplers physikalische Theorie der himmlischen Bewegung s. auch C. 73.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 049. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_077.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)