die reinbewahrte Fahne der Freiheit wird das schönste Leichengewand für uns sein. 335 Vorher aber wollen wir noch die Veste mit all’ ihren Schätzen in den Flammen begraben: wie werden sich doch – ich sehe es schon im Geiste – die Römer grämen, wenn sie uns wenigstens nicht lebend, Geld aber gar keines bekommen! 336 Nur die Lebensmittel lassen wir unversehrt, damit sie uns nach unserem Ende noch bezeugen können, dass wir nicht dem Hunger zum Opfer gefallen sind, sondern, wie es schon von Anfang an unser fester Entschluss gewesen, lieber sterben, als Knechte sein wollten“.
337 (7.) Mit diesen Worten traf es jedoch Eleazar nicht bei allen Anwesenden. Denn während ein Theil sich ihm bereitwilligst zur Verfügung stellte und sich fast mit einer gewissen Wollust an dem Gedanken weidete, wie schön doch ein solcher Tod sein müsse, 338 überkam dagegen die Weichherzigeren aus ihnen Mitleid mit ihren Frauen und Kindern, und da sie überdies dann auch für ihre eigene Person sich den Tod zu geben hatten, so stierten sie einer auf den anderen, und die Thränen in ihren Augen sagten nur allzu deutlich, wie wenig das nach ihrem Geschmacke war. 339 Wie nun Eleazar diese Leute verzagt werden und ihre Herzen unter der Riesengröße seines Entschlusses zusammenbrechen sah, da besorgte er, sie möchten mit ihrem Jammer und ihren Thränen auch jenen noch die Kraft lähmen, die starkmüthig seine Worte entgegengenommen hatten. 340 Weit entfernt also, jetzt seine Aufmunterung einzustellen, nahm er erst recht alle Kräfte zusammen und schlug mit dem ganzen Feuer seiner Entschlossenheit die schönsten Töne über die Unsterblichkeit der Seele an, 341 indem er dabei seinen Blick voll des heiligsten Unwillens unverwandt auf die Weinenden gerichtet hielt: „Ich habe mich fürwahr“, hub er an, „einer gewaltigen Täuschung hingegeben, wenn ich da geglaubt habe, an der Seite braver Männer mich in den Freiheitskampf zu stürzen, an der Seite von Männern, die fest entschlossen sind, entweder mit Ehren zu leben oder unterzugehen! 342 Ihr seid ja doch, wie ich sehen muss, überhaupt nie echte Männer und noch weniger Heldenseelen, sondern nur Leute ganz gewöhnlichen Schlages gewesen, die ihr vor dem Tode selbst dann noch Angst habet, wenn er euch auch vor den schlimmsten Uebeln rettet, anstatt euch ohne Zögern und unaufgefordert demselben in die Arme zu werfen. 343 Haben es uns ja doch die väterlichen und göttlichen Gesetze die längste Zeit, gleich vom ersten Gebrauche unserer Vernunft an, unausgesetzt eingeschärft, und unsere Ahnen durch ihr hochsinniges Beispiel bekräftigt, dass ein Unglück für die Menschen nur das Leben, und nicht der Tod ist. 344 Denn der Tod gibt den Seelen ihre Freiheit und lässt sie nach den reinen Stätten ihrer wahren Heimat ziehen,
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/527&oldid=- (Version vom 1.8.2018)