Höhle da! »Aber heroisch ist es,« sagt ein anderer, »sich selbst das Leben zu nehmen.« 368 Was nicht gar, im Gegentheil, es ist das die größte Gemeinheit, sowie, nach meinem Urtheil wenigstens, jener Steuermann die feigste Memme ist, der aus Furcht vor dem Sturme, bevor noch der Orkan losbricht, aus freien Stücken sein Schiff in den Wogen begräbt. 369 Noch mehr, der Selbstmord ist auch ein Monstrum im ganzen Reiche lebender Wesen und ein Frevel gegen Gott, unseren Schöpfer! 370 Was die Lebewesen anbelangt, so gibt es darunter kein einziges, das vorsätzlich und durch sich selbst den Tod erleidet. Denn ein eisernes Gesetz ist allen eingegraben: die Liebe zum Leben! Das ist auch der Grund, warum wir jene, die uns das Leben mit offener Gewalt nehmen wollen, im Kriege als »Feinde« ansehen, und warum wir die Meuchelmörder zum Tode verurtheilen. 371 Was aber Gott betrifft, glaubt ihr denn etwa, er werde sichs ruhig gefallen lassen, wenn ein Mensch ihm seine Gabe vor die Füße wirft? Sowie wir von ihm unser Dasein empfangen haben, so müssen wir es ihm allein überlassen, dasselbe wieder zu nehmen. 372 Der Leib ist nun freilich bei allen sterblich und aus einem verweslichen Stoffe gebildet, aber ihm ist auch stets eine unsterbliche Seele, ein Theilchen von Gott selbst, eingepflanzt. Wie nun? Wenn Jemand das von einem Menschen bei ihm hinterlegte Gut aufzehrt oder schlecht damit schaltet, so hält man ihn für einen Bösewicht und treulosen Mann: wenn aber einer die Hinterlage Gottes selbst aus seinem Leibe hinauswirft, wie sollte der nur wähnen, dem Auge seiner schwer beleidigten Gerechtigkeit entgehen zu können? 373 Mit Fug und Recht bestraft man nach allgemeiner Anschauung entlaufene Sclaven, auch wenn die Herren, denen sie entwichen, schlimme waren: und wir sollten es für keinen Frevel halten, wenn wir uns selbst Gott, dem edelsten Herrn, entziehen? 374 Wisst ihr denn nicht, dass diejenigen, welche nach dem natürlichen Gesetze der Auflösung aus diesem Leben scheiden und das von Gott erhaltene Capital ihm zurückzahlen, wann sein Eigenthümer es zurückverlangt, ewigen Ruhm, ihre Häuser und Nachkommen aber festen Bestand haben werden, während die Seelen der Geschiedenen selbst in aller Reinheit und hilfreichen Gesinnung an der heiligsten Stätte des Himmels, die ihnen als Wohnort zugefallen, verweilen dürfen, um von da, wenn der Kreis der Zeiten abgelaufen ist, aufs neue in fleckenlose Leiber gehüllt zu werden? 375 Wo aber die Hände gegen das eigene Fleisch gewüthet haben, dort muss die Seele zum finstersten Hades fahren, und Gott, ihr Vater, nimmt selbst an ihren Nachkommen noch Rache für den Frevel der Väter. 376 Es wird darum auch, was bei Gott so verhasst ist, schon vom weisesten Gesetzgeber aufs schwerste geahndet. 377 Es besteht nämlich
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/276&oldid=- (Version vom 19.2.2020)