und weil sich bei den müden Leuten zu allermeist gerade gegen Morgen hin der Schlaf einstelle. So empfahl denn der Jude diese Zeit zum Angriff. 320 Dem Vespasian kam die Meldung des Ueberläufers verdächtig vor: kannte er ja doch zu gut das treue Zusammenstehen der Juden untereinander, wie auch ihre Todesverachtung. 321 So war schon früher einer aus Jotapata aufgegriffen worden, welcher allen möglichen Folterpeinen trotzte und selbst dann, als man ihn mit brennenden Fackeln quälte, um ihn zum Reden zu bringen, dennoch den Feinden nicht das mindeste über die Lage im Innern der Veste mittheilte, ja noch am Kreuze der Todesqual lachen konnte! 322 Doch sprach diesmal die ganze Natur der Umstände für die Glaubwürdigkeit des Verräthers, und so befahl denn Vespasian in der Erwartung, dass der Mann am Ende doch die Wahrheit sagen könnte, und dass auch von einer etwa gelegten Falle die Römer keinen allzugroßen Schaden haben würden, dem Heere, sich zur Eroberung der Stadt bereit zu halten, den Ueberläufer aber unterdessen in Gewahrsam zu bringen.
323 (34.) Um die angegebene Zeit schlichen sich die Römer an die Mauer heran. 324 Der erste, der hinaufstieg, war Titus mit dem Tribunen Domitius Sabinus, gefolgt von einigen wenigen Legionären der fünften und zehnten Legion. 325 Nachdem man die Wachen niedergestochen, drang man in aller Stille in die Stadt, ihnen nach ein Tribun, namens Sextus Calvarius, und Placidus an der Spitze der Soldaten ihres Commandos. 326 Schon war die Höhe der Stadt in der Gewalt der Römer, und streiften die Feinde bereits mitten durch die Stadt, ja, es war schon der Morgen angebrochen, als die Opfer des Ueberfalles noch immer nichts von der Einnahme der Stadt merkten. 327 Die meisten lagen noch, von Müdigkeit und Schlaf hingestreckt, und auch jene, die schon aufgestanden waren, konnten wegen des dichten Nebels, der sich gerade an diesem verhängnisvollen Morgen um die Stadt gelegt hatte, nicht weiter ausblicken. 328 Endlich, als schon das ganze Römerheer in die Stadt hineingeströmt war, erhoben sich ihre Vertheidiger, aber einzig nur dazu, um ihr ganzes Unglück zu überschauen und erst im Todesstreich, den sie von den Feinden empfiengen, an ihren Fall zu glauben. 329 Die Erinnerung an die während der Belagerung ausgestandenen Drangsale ließ in den Römern kein Gefühl der Schonung und keine Regung des Mitleides aufkommen. Von der Höhe der Stadt aus drängten sie das Volk in dichten Haufen die Abhänge hinunter und mordeten nach Herzenslust. 330 Auch jene, die noch hätten kämpfen können, beraubte die schwierige Stellung jeder Möglichkeit einer Vertheidigung. In den engen Gassen eingezwängt und den abschüssigen Boden hinunterrutschend, wurden sie von dem aus der Höhe niederbrausenden Krieger-
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/271&oldid=- (Version vom 19.2.2020)