fortbringen lassen und die Gesetze ihrer Väter respectieren möge. Pilatus weigerte sich indes, ihre flehentliche Bitte zu erfüllen, worauf sich die Juden mit dem Angesicht zur Erde warfen und fünf Tage, wie auch ebensoviele Nächte unbeweglich in dieser Lage verharrten.
172 (3.) Am nächstfolgenden, d. h. am sechsten, Tage setzte sich Pilatus im großen Stadium auf seinen Amtssessel und beschied die jüdische Menge zu sich, scheinbar in der Absicht, ihnen seine Antwort mitzutheilen, während er in Wirklichkeit seinen Soldaten ein Zeichen gab, zu gleicher Zeit mit ihren waffenstarrenden Reihen die Juden einzuschließen. 173 Als sich die Juden von einer dreifachen Schlachtreihe umstellt sahen, erstarb ihnen ob des unerwarteten Anblickes zuerst das Wort im Munde; als aber dann Pilatus ihnen sagte, er werde sie niederhauen lassen, wenn sie die Bilder des Kaisers nicht zulassen wollten, und den Soldaten auch schon den Wink gab, blank zu ziehen, 174 da stürzten sie alle miteinander, wie auf ein verabredetes Zeichen, auf die Erde nieder, beugten ihren Nacken und schrien, sie wollten sich lieber niedermetzeln lassen, als das Gesetz übertreten. Hocherstaunt über eine so feurige Religiösität gab Pilatus den Befehl, die Standartenbilder sogleich aus Jerusalem zu entfernen.
175 (4.) Nach diesen Vorfällen rief die folgende Maßregel des Landpflegers eine neue Aufregung hervor. Pilatus wollte nämlich den heiligen Schatz, welcher Korban heißt, zur Anlage einer Wasserleitung hernehmen, die 400 Stadien weit das Wasser liefern sollte. Das erregte beim Volke böses Blut, und als Pilatus um diese Zeit nach Jerusalem kam, umdrängte es schreiend und schimpfend seinen Amtsstuhl. 176 Pilatus hatte aber schon so etwas vorausgesehen und darum seine Soldaten, bewaffnet zwar, aber als Civilisten verkleidet, an verschiedenen Punkten unter die Menge gesteckt, mit der Weisung, vom Schwerte keinen Gebrauch zu machen, dafür aber mit Knütteln die Krakehler zu bearbeiten, was denn auch auf das verabredete Zeichen vom Richterstuhl her geschah. 177 Die Folge war, dass viele Juden von den Streichen tödtlich getroffen, viele andere aber von den eigenen Leuten auf der Flucht niedergerannt und zertreten wurden. Das traurige Ende der Verunglückten schüchterte die Menge derart ein, dass sie keine Widerrede mehr wagte.
178 (5.) Um diese Zeit erschien Agrippa, der Sohn jenes Aristobulus, den sein Vater Herodes hatte hinrichten lassen, mit einer Klage gegen den Tetrarchen Herodes vor dem Kaiser Tiberius. Da aber dieser auf seine Klage nicht eingieng, so suchte Agrippa wenigstens seinen Aufenthalt in Rom dazu zu benützen, um außer anderen römischen Rangpersonen ganz besonders dem Cajus, dem Sohn des Germanicus, der
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/167&oldid=- (Version vom 15.2.2020)