Es war einmal ein König, der hielt einen wilden Mann in seinem Schlosse gefangen und ließ ihn sorgsam verwahren; denn die wilden Männer sind sehr selten und dabei von so großer Weisheit, daß sie alles wissen, was in der Welt geschieht. Wenn der König nun in Not war oder nicht wußte, was er in einer Sache thun sollte, so lief er zu seinem Gefangenen und holte sich von ihm den besten Rat, den er auf der ganzen Erde hätte bekommen können.
Eines Tages, als der König auf die Jagd geritten war, spielte sein sechsjähriges Söhnlein auf dem Schloßhofe mit dem Balle; ein Wurf ging fehl, und der Ball sprang durch das Gitterfenster in die Stube des wilden Mannes.
„Lieber wilder Mann,“ sagte der kleine Prinz, „gieb mir meinen Ball wieder!“
„Nein,“ antwortete der wilde Mann, „das thu’ ich nicht; ich habe den Ball nicht hineingeworfen, ich werde ihn auch nicht herauswerfen.“
Der Junge bat und quälte jedoch immer fort, bis endlich der wilde Mann zu ihm sprach:
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Mayer & Müller, Berlin 1890, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Schwaenke_und_Schnurren_aus_Bauernmund.djvu/87&oldid=- (Version vom 1.8.2018)