Da schwur sie ihm hoch und teuer, sie wolle ihm immer und ewig gehorsam sein; und er hatte recht, sie lebte so glücklich mit ihm, wie Mann und Frau nur mit einander leben können. Er that ihr alles zu Gefallen, und sie las ihm seine Wünsche von den Augen ab. Kurz und gut, sie lebten zusammen, wie die Kinder.
Eines Tages sprach sie zu ihm: „Ach, Herzensmännchen, wollen wir nicht einmal meine Eltern besuchen?“
„Die mögen uns besuchen,“ gab er zur Antwort, und da war sie auch sogleich mit zufrieden.
Und mit dem Besuche kam es auch so. Die alte Gräfin lauerte und lauerte auf Nachricht von ihrer Tochter; als endlich ein ganzes Jahr verstrichen war, ließ sie den Wagen vorfahren, setzte sich mit ihrem Manne hinein, und die Reise begann.
Es dauerte auch gar nicht lange, und sie waren da. Der junge Graf empfing sie sehr freundlich, half seinen Schwiegereltern aus der Kutsche, und während die Mutter zu der Tochter auf die Stube ging, zeigte er dem alten Grafen seinen reichen Viehstand und die schönen Wiesen und Felder. Als sie zurückkamen, saß die alte Gräfin allein in der Stube.
„Wo ist meine Frau?“ fragte der junge Graf.
„In der Kammer!“ antwortete das böse Weib kurz; doch der Schwiegersohn that, als merke er nicht ihre Bosheit und ging in die Kammer, und der alte Graf folgte ihm nach.
Da saß die junge Frau an dem Tische und weinte bitterlich.
„Warum weinst du?“ fragte ihr Mann.
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Mayer & Müller, Berlin 1890, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Schwaenke_und_Schnurren_aus_Bauernmund.djvu/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)