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Seite:Jahn Das Volksmaerchen in Pommern.djvu/6

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Sie allesamt sind darin einig, daß sie ihre Märchen lieben und werth halten; aber die große Mehrzahl ist, wie der gemeine Mann sich ausdrückt, nicht gut behullig. Sie können nicht wiedergeben, was sie gehört haben, und wissen kaum einige Züge, und auch diese nur verschwommen, nachzuerzählen. Um so bereitwilliger preisen sie die größere Behulligkeit eines guten Freundes oder Gevatters an, der dann auch, wenn man ihn richtig zu nehmen versteht, die paar Märchen, welche er kennt, zum Besten giebt. Ist er fertig damit, so spricht er wohl sein Bedauern darüber aus, nicht mehr zu wissen: „Ja, wenn ich behulliger wäre!“, und dann vereinigen sich der nicht Behullige und der etwas Behullige, die Vorzüge irgend eines Mannes zu schildern, der wohl ganze vier Wochen lang Tag und Nacht erzählen könnte und doch kein Ende finden würde. Anfangs glaubte ich nicht so recht an die Wahrheit dieser Reden; als ich sie aber immer wieder und wieder hören mußte, in welche Gegenden ich auch kam, so begann ich Jagd zu machen auf diese Wundermänner. Lange gelang es mir nicht, irgend eines von ihnen habhaft zu werden – entweder sie waren schon gestorben oder ausgewandert in die neue Welt; – aber wer sucht, der findet auch, und jetzt birgt meine Sammlung die Schätze der renommirtesten Märchenerzähler aus den verschiedensten Theilen des Pommerlandes.

Diese wahren Marchenerzähler, welche häufig einen Schatz von fünfzig, sechszig und mehr Märchen in ihrem Gedächtniß bergen – Märchenerzählerinnen in dem Sinne giebt es kaum – sind in unserer Zeit fast nur unter den Männern in reiferen Jahren zu finden. Sie sind klug in ihrer Art und Meister der Sprache, haben aber sämtlich etwas Schwermüthiges. Träumerisches in ihrem Gesicht und werden deshalb oft von den Gebildeten, welche das Volk nicht kennen, für dumm verschrieen. Von ihren Genossen werden sie hochgeehrt, denn dieselben sehen in ihnen die trefflichen Bezwinger tödtlicher Langweile, welche sich ohne den Märchenerzähler gar

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Jahn: Das Volksmärchen in Pommern. Hessenland, Stettin 1887, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Das_Volksmaerchen_in_Pommern.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)