Hiller schaute auf. Seine Augen waren fast freundlich, als er dann gelassen fragte:
„Sollten Sie das nicht wissen, Herr Heiking?“
Ich nahm all meinen Mut zusammen, all meine Verstellungskunst.
„Sie haben recht,“ erwiderte ich, seinem Blick ruhig begegnend, „es kann sich ja nur um den Falschspieler Lautenborn handeln.“
Wie sehr hatte ich doch gestern diese Augen unterschätzt, die sich jetzt förmlich in die meinen einborten mit einem Ausdruck, der etwas so Bezwingendes an sich hatte, daß mir plötzlich die helle Röte ins Gesicht schoß und ich verlegen den Kopf senken mußte, so sehr ich auch gegen diese verräterischen Anzeichen ankämpfte und meine scheinbar gleichgültige Haltung zu bewahren suchte. Unter dem Banne dieser Augen war ich machtlos, vollkommen machtlos.
Und dann antwortete Hiller, indem er sich wieder über sein Aktenstück beugte: „Gewiß – über Lautenborns alias Mellschewskis – denn letzteres ist sein richtiger Name, wie wir jetzt festgestellt haben, Falschspielerkünste wollen wir uns unterhalten.“
Wie von Bergeslast befreit atmete ich auf. Nur um Lautenborn gings also! Zuversichtlicher blickte ich daher wieder zu dem Kommissar hinüber, der sich jetzt in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und einen Bleistift spielend durch die Finger zog.
„Ja, über Mellschewski – wenigstens vorläufig, Herr Heiking,“ sagte er dann langsam, als ob er seine letzte Äußerung richtigstellen wollte. Und abermals saugte sich sein forschender Blick in meinen Mienen fest, abermals schien er mir auf dem Grunde der Seele lesen zu wollen.
Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/82&oldid=- (Version vom 1.8.2018)