zu Geld zu kommen, für den, den die Strafgesetze nicht mehr schrecken.
Und dann – dann erblickte ich Marga Benrath, die eben aus dem Postamt in der Turmgasse herauskam, bleich, mit matten Bewegungen, den Kopf tief gesenkt.
Sie bemerkte mich nicht, überquerte die Straße und bog in einen der ersten Wege des kleinen Tiergartens ein. Eine Laune war’s von mir, daß ich ihr folgte. Keine Absicht lag meinem Tun zu Grunde, als ich sie dann auch weiter heimlich beobachte, wie sie sich auf eine Bank niederließ und einen Brief, den sie halb zerknüllt in der Hand gehalten hatte, immer wieder überlas. Ihre Mienen drückten dabei eine solche Verzweiflung aus, die gerungenen Hände, ihr stierer, trostloser Blick sprachen von so bitterer Herzensnot, daß heißes Mitleid in mir aufstieg. Schon längst hatte ich geahnt, das dieses liebliche, stille Geschöpfchen ein trauriges Geheimnis zu verbergen habe, daß ihr ganzes, von tiefer Melancholie zeugendes Wesen auf eine besondere Ursache zurückzuführen sein müsse. Marga Benrath, die Nichte der Gattin meines Onkels Grunert, war, wie mir Tante Johanna im Vertrauen mitgeteilt hatte, von ihren auf einem pommerschen Gute lebenden Eltern nur zu dem Zweck für längere Zeit zu den Berliner Verwandten geschickt worden, damit sie in der Großstadt etwas Zerstreuung und Aufheiterung fände, da man befürchtete, die Einsamkeit des Landlebens würde ihren Gemütszustand, diese Neigung zu traurigem Vorsichhinbrüten, noch mehr verschlimmern. Daß ich jetzt mit aufrichtiger Teilnahme, verborgen hinter dem Stamm einer alten, verwitterten Eiche, Zeuge
Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)