Kreisen, in denen ich verkehre, sonst wird man mich meiden als einen Entehrten!
Ich lachte bitter auf. – Entehrt! Vor mir selbst bin ich das seit langem. Und doch klammere ich mich mit aller Verzweiflung an die Möglichkeit, wenigstens noch weiter nach außen hin das zu scheinen, was ich in Wahrheit längst nicht mehr bin: ein anständiger Mensch! – Alles in mir sträubt sich dagegen, mich von der Gesellschaft als einen Wortbrüchigen beiseite schieben zu lassen. Spielschulden – Ehrenschulden! Auch eine dieser verrückten Normen, die in dem ungeschriebenen Ehrenkodex der sogenannten Gesellschaft stehen, dieser Gesellschaft, in der der Schein regiert, nichts anderes. Sonst hätte Herbert von Lautenborn ja von ihr längst in Acht und Bann getan sein müssen!
Gab es denn für mich kein Mittel, diesen Schein zu wahren, keine Möglichkeit, mich weiter über Wasser zu halten –? Wieder umtanzten meine Gedanken jetzt wie düstere Gespenster die sich mir bietenden Aussichten, auch dieses Mal irgend einen Weg zur Rettung zu finden – irgend einen, mochte er noch so verwerflich sein.
Ich ging gerade an einem der hellerleuchteten Nachtcafés dicht am Nollendorfplatz vorüber. Musik, ein leichter Walzer, schallte mir entgegen. Wie wenig paßten diese frohen Lebensgenuß preisenden Töne zu dem, was mich bewegte! Wie bittere Ironie klang das Jubeln der Geigen, die schmeichelnde Melodie. –
Und doch zog es mich hinein unter die frohe Menge, in diese Luft, die von süßlichen Wohlgerüchen und Zigarettenrauch erfüllt war. Ich wollte nicht länger allein sein, wollte nicht. – Diese wilde Verzweiflung,
Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)