so auffallend, daß ich schnell wieder ganz Herr meiner Sinne wurde.
Nur um die aufsteigende Verlegenheit zu verbergen, schaute ich nach der Uhr, der billigen Nickeluhr, die ich einst als Knabe getragen und jetzt wieder hervorgesucht hatte. Es war vier. – Drei Stunden hatte ich also geschlafen, drei Stunden lang hatten die Traumgesichte mich geschreckt und genarrt.
Und dann begann Hiller, während seine leuchtenden Augen mein Gesicht nicht losließen:
„Mittags hat die Sektion der Leiche Schwechtens stattgefunden. Auf meinen speziellen Wunsch so schnell. Ich wollte Gewißheit haben, wie der Schußkanal verläuft.“
Schon wieder kroch mir eisige Angst zum Herzen. War’s denn noch - noch nicht genug der Qual …!
Da fuhr die harte Stimme schon fort:
„Ich gebe Ihnen jetzt nochmals den Rat, Heiking, lassen Sie alle weiteren Bemäntelungsversuche. Ich will die Wahrheit wissen: wie starb Schwechten?“
Ein wilder Trotz bäumte sich plötzlich in mir auf. Wo ich den Mut hernahm, weiß ich nicht. Aber ich schrie in einem Tone, daß Hiller fast zurückfuhr.
„Fragen Sie den Toten doch selbst, wenn Sie mir nicht glauben. Ich weiß nichts mehr! Spannen Sie mich meinetwegen auf die Folter, und Sie werden doch nichts anderes zu hören bekommen!“
Hiller, mit seiner durch die berufliche Tätigkeit geschärften Menschenkenntnis mochte wohl einsehen, daß das, was er eben erlebt hatte, nicht das verzweifelte Aufbäumen eines schuldbeladenen Herzens sein konnte.
Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/114&oldid=- (Version vom 1.8.2018)