Karl Leberecht Immermann: Waldmährchen. In: Schriften, Band 10: Münchhausen, Theil 3. S. 141-186 | |
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Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft seine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er meinte, er müsse an den Himmel rühren. Die Wände seines Hauptes und seiner Brust wurden tempelweit, in sein Ohr fielen Töne, fremd, zerreißend, himmlisch, und er sagte zu sich: Das ist der Gesang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. Endlich machten die Schmerzen einer prickelnden Wollust Raum, in welcher er seinen Körper wieder zu gewöhnlichem Maaße zusammenschrumpfen fühlte, während die Riesengestalt wie eine äußere Schaale oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umrissen um ihn stehen blieb. Die Finsternisse wichen von seinen Augen, indem sich große, gelbglänzende Lichtflächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von den Aepfeln ablösten und in die Augenwinkel zogen, wo sie allmählig verschwanden.
Während er so wieder sehend wurde, sang ein feiner, süßstimmiger Chor um ihn her – er wußte nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch Zweige, Stauden und Gräser ihren Beitrag? – ganz vernehmlich:
Wir dürfen’s ihm sagen,
Er muß es ertragen;
Karl Leberecht Immermann: Waldmährchen. In: Schriften, Band 10: Münchhausen, Theil 3. S. 141-186 . Schaub, Düsseldorf 1839, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Immermann_Waldmaehrchen.djvu/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)