Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp: W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen | |
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Iris, Figur 43 und 44, in der Mannigfaltigkeit ihrer Theile; der Mangel an Mannigfaltigkeit in den Nachahmungen dieser Blumen, Figur 45 und 46, bewirken eine schlechte Form, obgleich dieselben noch genug Aehnlichkeit mit jenen besitzen, um dieselben Benennungen erhalten zu können.
Das bisher angegebene Verfahren mit geraden und Cirkellinien läßt sich hauptsächlich bei der Baukunst in Anwendung bringen, wo ein weiter Spielraum zur Verzierung bleibt, sobald einmal das Haupterforderniß, die Zweckmäßigkeit, befriedigt ist. Die Verzierungen derselben können bei weitem noch ausgedehnter werden, als es gegenwärtig der Fall ist; auch außer den Säulenordnungen der antiken und den Schnörkeln der gothischen Baukunst läßt sich mannigfacher Schmuck wählen. Die Natur bietet hier dem Architekten ein weites Feld. Sogar ein Capital, welches aus den tölpischen und beschränkten Formen der Perrücken und Hüte bestände, würde durch eine geschickte Hand einige Schönheit erlangen, Figur 48.
So sonderbar die angeführte Bemerkung Hogarth’s lautet, eben so sonderbar klingt die folgende: Wie wenig Erfindungen auch in neuesten Zeiten hinsichtlich der Architektur gemacht wurden, so ist dagegen Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Nettigkeit der Arbeit zu einem hohen Grade der Vollkommenheit gebracht worden, besonders in England, wo der gesunde Menschenverstand die nothwendigeren Theile der Schönheit, welche jedermann verstehen kann, dem reichen Geschmack vorgezogen hat. Als Erläuterung sollen die Gebäude dienen, welche man auf dem ersten Blatte erblickt.
Was die Wellenlinien betrifft, so sind zwar alle als Schmuck gebraucht worden, allein eine derselben ist die schönste, und kann deßhalb die Linie der Schönheit genannt werden. Verschiedene Wellenlinien sind Figur 49 angegeben; die Linie der Schönheit ist Nr. 4, Nr 6 und 7 werden plump, indem sie sich zu sehr bei der Krümmung beugen; Nr. 3, 2 und 1 sehen dagegen ärmlich aus, weil sie zu gerade sind. Man wird dies aus Figur 50 noch besser erkennen, wo die Linien in den Stuhlfüßen wiedergegeben sind.
Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp: W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen. Literatur-Comptoir, Stuttgart 1840, Seite 1057. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hogarth_erkl%C3%A4rt_von_Lichtenberg_(Kottenkamp_Stuttgart_1840).pdf/1176&oldid=- (Version vom 29.12.2019)