Zum Inhalt springen

Seite:Hilbert - Mathematische Probleme.pdf/28

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
David Hilbert: Mathematische Probleme. In: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse

den Grundkörper darstellt. In der Theorie der algebraischen Functionen dient bekanntlich zum Nachweise jenes Riemannschen Existenzsatzes die Methode der Randwertaufgabe; auch in der Theorie der Zahlkörper bietet der Nachweis der Existenz jener Zahl gerade die meiste Schwierigkeit. Dieser Nachweis gelingt mit wesentlicher Hülfe des Satzes, daß es im Zahlkörper stets Primideale mit vorgeschriebenen Restcharakteren giebt; die letztere Thatsache ist also das zahlentheoretische Analogon zum Randwertproblem.

Die Gleichung des Abelschen Theorems in der Theorie der algebraischen Functionen sagt bekanntlich die notwendige und hinreichende Bedingung dafür aus, daß die betreffenden Punkte der Riemannschen Fläche die Nullstellen einer algebraischen zur Fläche gehörigen Function sind; das genaue Analogon des Abelschen Theorems ist in der Theorie des Zahlkörpers von der Klassenanzahl die Gleichung des quadratischen Reciprocitätsgesetzes[1]

,

welche aussagt, daß das Ideal dann und nur dann ein Hauptideal des Zahlkörpers ist, wenn jene Zahl in Bezug auf das Ideal einen positiven quadratischen Restcharakter besitzt.

Wie wir sehen, treten in dem eben gekennzeichneten Problem die drei grundlegenden Disciplinen der Mathematik, nämlich Zahlentheorie, Algebra und Functionentheorie in die innigste gegenseitige Berührung und ich bin sicher, daß insbesondere die Theorie der analytischen Functionen mehrerer Variabelen eine wesentliche Bereicherung erfahren würde, wenn es gelänge, diejenigen Functionen aufzufinden und zu diskutiren, die für einen beliebigen algebraischen Zahlkörper die entsprechende Rolle spielen, wie die Exponentialfunction für den Körper der rationalen Zahlen und die elliptische Modulfunction für den imaginären quadratischen Zahlkörper.




Wir kommen nun zur Algebra; ich nenne im Folgenden ein Problem aus der Gleichungstheorie und eines, auf welches mich die Theorie der algebraischen Invarianten geführt hat.


  1. Vgl. Hilbert, Ueber die Theorie der relativ-Abelschen Zahlkörper, Nachrichten der K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1898.
Empfohlene Zitierweise:
David Hilbert: Mathematische Probleme. In: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1900, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hilbert_-_Mathematische_Probleme.pdf/28&oldid=- (Version vom 1.8.2018)