Messern, in Freiheit dressirten Trakehnerhengsten und monocletragenden Mitgliedern aristokratischer Klubs. Was sie täglich sah, konnte ihr natürlich nicht imponiren. Um so stärker wurde sie durch dieses völlig Neue geblendet: die ernste Bildung, verkörpert in dem hervorragendsten Schriftsteller Doktor Bunge. Der Bauer, der auf dem Jahrmarkte die Produktionen eines abgerichteten Esels sieht, kann den Mund nicht erstaunter aufreißen, als Fiorentina vor Bunge. Nur war der ihrige ein sehr rosiger, kleiner Mund, und wenn sie ihn aufriß, kamen allerliebste Zähnchen zum Vorscheine. Dieser Mund war eine der größten Sehenswürdigkeiten des Cirkus Madré.
Es fehlte selbstverständlich in der Residenz nicht an kühnen Eroberern, welche sich um Miß Fiorentina bemühten. Ein hoher Adel und das löbliche Militär voran, in zweiter Reihe einige beklommene Herren vom Civil. Und unter all den strebsamen Männern, Knaben und Greisen gefiel der schönen Künstlerin jener Edle am besten, der ihr weder Blumen noch Bonbons, noch Brillanten schenkte, der bloß die Gewalt seiner Persönlichkeit, den ernsten blonden Bart und die Bildung auf sie wirken ließ: Johannes Bunge! Ihm galt ihr letztes Lächeln, bevor sie an der Hand des Stallmeisters in die Arena hinaushüpfte, dem Applaus entgegen; ihm ihr erster Blick, wenn sie ruhmbedeckt zurückkehrte. Bunge war beglückt, doch er trug sein Glück ernst, maßvoll, gelassen. Wenn ein Bunge liebt, so muß er Gegenliebe finden; das ist nicht anders möglich.
Welche Sommerfäden sich zwischen dem gefeierten Rezensenten und der gefeierten Künstlerin spannen, das entging vielleicht dem weniger scharf blickenden hohen Adel, dem löblichen Militär und den beklommenen Herren vom
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/133&oldid=- (Version vom 1.8.2018)