Die vier Herren saßen nach dem Souper auf der breiten Terrasse des Landhauses. Aus dem Garten herauf strich ein sommerlicher Duft. Jeder hatte sein Maiweinglas vor sich. Ab und zu kam lautlos der wohlerzogene Diener und füllte die grünen Kelche. Viel hatte er aber damit nicht zu thun, denn drei von den Vieren waren gewitzigte Lebemänner, die den Genuß durch Maßhalten zu erhöhen verstanden. Nur der Vierte, ein lebhafter junger Mensch, übernahm sich ein wenig im Trinken und Reden.
Und wie immer, wenn Herren unter sich sind, kam das Gespräch auf die Frauen oder – wie man nach dem Souper aufgeknöpfter zu sagen pflegt – auf die Weiber. Der lebhafte junge Mensch that sich besonders hervor durch die Erzählung sehr brauner Anekdoten. Anfangs lachten die Anderen dazu. Allmählich wurden ihnen aber diese Scherze zu bunt und zu derb.
„Schweig doch!“ rief der Hausherr endlich dem jungen Manne zu, der sein Vetter war und den er mit verwandtschaftlicher Grobheit zu behandeln pflegte. „Schweig, Fritz, Du verdirbst uns mit solchen Reden die gottvolle Nacht!“
Der Doktor nickte zustimmend und rief: „Ja wohl! Rauchen, trinken, schweigen! Wir können nichts Besseres thun. Es wäre denn, daß Einer von Euch eine Geschichte
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)