geworden. Und es entbrannte ein mächtiger Wettkampf zwischen den zornerfüllten Geschwisterkindern. War Kilchberg bei aller Kühnheit besonnen gewesen, so entwickelte sein zäher Vetter in sich einen ungeahnten Wagemuth. Es war ein Ringen, wie man es in der Stadt, im Lande noch nie gesehen hatte. Die feindlichen Vettern bekriegten einander mit epischer Wucht. Die ganze Energie ihres Lebens war darauf gerichtet, den Nebenbuhler zu überwältigen. Schlau und rücksichtslos und rastlos gingen sie an die Arbeit. Keiner von ihnen kannte mehr eine Erholung oder Freude. Alle Kraft wurde in dem immer sinnloseren Wettstreit angespannt. Es kam davon ein neues Sprichwort in ihrem Kreise auf. Man sagte von verwilderten Mitbewerbern: sie machen einander Konkurrenz wie Kilchberg und sein Vetter.
Aber Keiner trug den Sieg davon, oder richtiger beide. Denn beide erstarkten in diesem Ringen, das sie zwang, den höchsten Scharfsinn, die letzte Willensmacht fort und fort aufzubieten. Sie wurden beide sehr reich, ja es war auch kein erheblicher Unterschied in ihrem Vermögen. Und sie wußten das, weil sie einander wie eifersüchtige Mächte auskundschafteten. Es gab eine Zeit, wo sie genau die gleiche Stufe einnahmen, im Ansehen, im Reichthum. Und wie es am Anfang ihres Lebens gewesen war, so wurde es wieder. Die Zwillingsvettern befanden sich in einer Zwillingslage, die Verhältnisse des Einen so glücklich wie die des Andern. Längst waren die Ursachen der Feindschaft hinweggeräumt, Keiner stand über dem Andern, Keiner brauchte den Andern zu beneiden. Der Augenblick zum Friedensschlusse schien endlich gekommen zu sein. Es bemühten sich auch viele der Freunde, an denen es reichen Leuten nicht fehlt, um die Aussöhnung der Geldmagnaten. Aber Kilchberg pflegte auf solche Vorschläge zu antworten:
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/101&oldid=- (Version vom 1.8.2018)