Wort des Ordensgenerals den Frieden der Seele erfand und empfand. Gott hat ihn darum in dieses Kloster gehen heißen, daß er lerne, was es um Erbarmen sei.
Luthers Jugend und Augustins Jugend, wie grundverschieden! Augustin von seinem hochstrebenden, ungläubigen und kirchenfernen Vater Patrizius frühzeitig über seine Grenzen hinausgeführt, von seiner frommen, aber unklaren Mutter Monika mehr verzogen als wirklich innerlich gebildet, hat nie den Ernst der Entbehrung und die Größe des Verzichtes kennen gelernt. Wenn Sie die Bekenntnisse des späteren Bischofs: aufschlagen, so merken Sie, wie er darin klagt, daß die Anspruchsfülle seiner Jugend ihm die Kraft geraubt und den Willen gelockert habe: „Ich habe Früchte genommen, nicht um sie zu essen, sondern um sie zu nehmen; in meinem Garten hingen weit bessere Birnen, aber mir schmeichelte es, dort von dem Birnbaum, der herein in die Hecke ragte, zu nehmen und sie dann zu zertreten, nur da mit ich sagen könnte: ich habe mein Verlangen gebüßt.“ Und wie der Knabe dem 7. Gebot nicht gehorsamte und den Lockungen nicht widerstand, welche ganz geringe Äußerlichkeiten hervorriefen, so hat der Jüngling das 6. Gebot eilig und mit Behagen über treten. „Oft habe ich dir zugerufen, du ewige Liebe, bekehre mich, bekehre mich; aber wenn ich sehen sollte, daß ich auf das Weib meiner Jugend verzichten müßte, dann sprach ich: „Herr, aber nicht gleich.“ Und so hat Augustin, ob er in Madaura weilte oder in Karthago studierte oder nach Rom zog, in seiner Jugend sich’s nicht versagen mögen, auf solche Genüsse zu verzichten. Aus solchen schlaffen Seelen kann Gott keine Säulenmenschen schnitzen, nicht Charaktere in seiner Kirche herausbilden.
Hermann von Bezzel: Luther und Augustin. Verlag der Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1912, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Luther_und_Augustin.pdf/8&oldid=- (Version vom 2.10.2016)