um dies zu werden, nicht in die Weite des unbesehenen Neuen, sondern in die Tiefe des erkannten Nieveraltenden. Weitschaft ist nicht selten der Schatten der Oberflächlichkeit und bewußte, willentliche Beschränkung die stille Geburtsstätte wahrhaftiger Bildung.
Deutsch-evangelisch wäre eine falsche Synthese, wenn der weltumgestaltenden Kraft des Evangeliums nationale Schranken oder dem Deutschtum konfessionelle Bedingtheit ausschließlich zur Bedingung gestellt werden wollte, aber das soll uns freudige Gewißheit sein, daß nirgendswo der deutsche Sinn so sich wiederfindet als in der evangelischen Artung des Lebens und evangelische Lebensfülle kein besseres Gefäß in dieser Irdischkeit erlangen kann als eben im deutschen Herzen.
Nun ist meine feste Überzeugung, daß keine Arbeit das evangelische Frauenleben so verinnerlicht und vor Zerteiltheit schützt als das liebevolle und lebenswarme Studium der Geschichte, nicht trockner Tatsachen, die man sich mühsam einprägt noch toter Zahlen, mit deren Kenntnis man prunkt, sondern gelassene Ruhe zu den Füßen einer heiligen Lehrmeisterin, der aus Gott geborenen, untrüglichen Wahrheit, zu der und aus welcher der heilige Geist, der eigentliche Geist der Geschichte, leitet und ladet. Die Kenntnis der Geschichte gibt der Seele die stille Ruhe, daß nach ewigen, wandellosen Gesetzen ein treuer Gott das Bleibende, Echte und Wahre zu dem Siege erhebt, der es nicht bestätigt, aber erweist. Die Seele wird, wenn ihr Freude und Mut entsinken will, ganz geruhig, weil sie Glied um Glied der Liebeskette sich aneinanderschließen sieht, die, vom Himmel auf die Erde seit Weihnachten reichend, trotz aller Gegenwehr die Erde zum Himmel erhebt. Weltgeschichte predigt Welterlösung und verheißt Weltvollendung, weil die Welt auf den angelegt ist, von dem sie ausging; der Gottesgedanke kehrt, mit dem, was er ausgerichtet hat, bereichert zu seinem Ursprung zurück. Im Gegensatz zu den feuilletonistischen Aufmachungen, welche das Ungewöhnliche und Unerlebte anpreisen, zeigt die Geschichte auf, wie im folgeklaren Hergang der Dinge die Ewigkeit zur Zeit und diese zu jener sich schickt.
Der Rückblick auf hundert Jahre bayerischer Kirchengeschichte hat den reichen Trost, daß Sein Weg, ob auch durch
Hermann von Bezzel: Frauengestalten aus der Landeskirche. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1912, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Frauengestalten_aus_der_Landeskirche.pdf/4&oldid=- (Version vom 8.9.2016)