wäre längst in Kümmerlichkeit draußen auf dem Lande versickert, wenn nicht die Lehrdiakonie das Auge hell, den Mut groß, die Hoffnung freudig gemacht hätte. Beschaulichkeit ist eine große Gabe, aber durch Arbeit und Unternehmung wird sie nicht gehemmt, sondern gefördert. Beschaulichkeit ist eine große Gnade, aber die Gefahr ist, daß man sich an sie verliert. Die Lehrdiakonie in dem unmittelbaren Zusammenhang mit dem nachdrängenden und nachquellenden Leben, in der einen Hand den Schatz der Erkenntnis, in der anderen den Schatz künftiger Möglichkeiten, ist am allerhöchsten dazu befähigt, in einem Hause die Kraft für die kommenden Stürme zu bereiten und es für die Aengste, die über den ganzen Erdkreis eindringen, zu befähigen. Aber freilich, manch eine könnte denken, ich beschränke die Lehrdiakonie auf die paar Schulen oder 500 Schülerinnen, die wir haben, nein, die Lehrdiakonie geht für mich herein auf die Kinderwelt, und hinaus auf die Gefährdeten und Gefallenen. Ich kann mir eine Rettungsdiakonie ohne Lehrdiakonie schlechtweg nicht denken. Und darum spreche ich auch ein Wort von der Lehr- und Erziehungsdiakonie gegenüber den Gefährdeten und Gefallenen.
Ich habe das Gesetz wohl oft in seiner Paradoxie aufgestellt und scheue mich nicht, es noch einmal zu sagen, die größte Weisheit in der Unterweisung der Gefallenen ist, daß man sie als nicht gefallen ansieht. Das hat der Heiland gesagt: Darum bricht mir das Herz über dir, daß ich mich dein erbarmen muß. In dieser göttlichen Vernotwendigung des Erbarmens, in dieser von Jesu veranlaßten, überwundenen Treue, der das Elend den Mut nicht nimmt, sondern erhöht, der die schauernde Tiefe der satanischen Verführung den Schreck zwar erweckt, aber nicht die Mutlosigkeit, liegt das Geheimnis der Arbeit an den Gefallenen. Unser Volk fängt an, ein untergehendes Volk zu werden. Wir sind in den letzten Jahrzehnten so von dem Dithyrambus über alles Mögliche angelogen worden, es kam mir immer vor, wie wenn Sänger an einem Grabe singen: Freuet euch des Lebens. Unser ganzes Volk wird langsam von den ewigen Gütern der Lebensreinheit und der Lebenskeuschheit gelockert. Es ist freilich wahr, daß jetzt durch die unheimliche Zauberin, Statistik geheißen, eine Menge Dinge ans Licht geholt werden, die früher auch da, aber nicht bekannt waren, aber andrerseits muß man sagen, die Scham der Verborgenheit ist allmählig geschwunden, unser Volk verliert die Scham vor sich selbst. Wie lang wird es dauern und die früheste Jugend lebt in und von den Gedanken, die mit dem Trug der Sünde umgeben sind! Wie lange wird es währen, und unser ganzes Volk hat seinen Sabbathfrieden eines reinen
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/87&oldid=- (Version vom 1.8.2018)