derer, die Schriftgelehrte sein sollten, der Rekurs auf das göttliche Wort seinen Wert immer mehr verliert und dadurch der unaufhaltsame Zersetzungsprozeß immermehr beschleunigt wird, hat die Lehrdiakonie die einfache Pflicht, das Wort, das in die Menschheit gerichtet ist, der nachwachsenden Menschheit auch des 20. Jahrhunderts teuer zu machen. Es ist das die Aufgabe, mit der der Herr uns betrauen will, und dieser Aufgabe wollen wir uns nicht entziehen – so lieb uns das Leben und so groß uns die Pflicht des Dankes ist. Wir werden uns doch nicht genieren das Wort nachzusagen:
„Mir ist nicht um tausend Welten,
Aber um dein Wort zu tun!“
Gewiß, man kann viel Geduld und Nachsicht haben, aber Geduld und Nachsicht sind eben Ausnahmszustände. Man kann viel, viel noch hinsehen und warten und sich in Geduld fassen; aber die Zweifelnden sind doch nicht die Normalen; und darum haben wir nicht das Recht wie zu einer verlornen Sache, die nur noch in unsrer guten Meinung zu Recht besteht, zu Gottes Wort uns zu halten. Wir haben wahrlich nicht not, einen besonderen Opfergang anzutreten wie Leute, die eben jetzt einer verlornen Sache ihr Leben opfern, sondern wir wollen lehren, was uns gelehrt hat. Ich habe gestern auf demselben Gottesacker an dem Grab derer von Schlagintweit ein Wort gelesen, das hat sich mir tief eingeprägt:
„Unter der Führung Gottes mit Eisen und mit der Feder.“ Unter der Führung Gottes mit dem Eisen der Beständigkeit und mit dem Wort der Wahrheit die alte Wahrheit zu verkünden ist Seelsorge. Dann wird auch der Gedanke hinfallen, als ob die Lehrdiakonie, wie wir’s ja immer hören und aus naheliegenden Gründen auch beseufzen, etwas Sonderliches sei und in den Diakonissenhäusern eine Sonderart aufzurichten geeignet wäre. Es wird ja den Lehrschwestern aus dem rein äußerlichen Grunde, daß ihre Zeit ganz konzentriert ist, und sie in ihr, vorgehalten, sie könnten sich dem Genossenschaftsleben nicht ganz widmen. Es wird ganz gewiß hier ein Moment liegen, das man ernst ins Auge fassen muß. Wenn ein Tadel, eine Ausstellung sich mit einer gewissen mathematischen Genauigkeit und Treffsicherheit Jahr um Jahr wiederholt, will ganz bestimmt der Herr mit ihm etwas Rechtes sagen, aber das liegt nicht in der Sache, das liegt in Personen; in der Sache liegt überhaupt nie etwas. In einer Reichsgottessache liegt nie ein Hemmnis für eine andere.
„In Seinem ganzen Königreich
Ist alles recht und alles gleich.“
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/75&oldid=- (Version vom 1.8.2018)