andere Aufgaben ihm wieder geraubt werden, und das wird nach dem Gesetz der Ebbe und Flut, welches durch das Reich Gottes zieht, auch wieder kommen. Es flutet alles einmal ab, auch der Wahn, als ob alles durch Diakonissen geschehen müsse, wenn es geschehen will. In 30 Jahren wird man vor all den Kräften und Gaben und Möglichkeiten, vor all den Gewandtheiten und Fähigkeiten, die ringsum erweckt werden, die Diakonisse nicht mehr viel brauchen. Es muß deswegen eine Arbeit recht bewahrt werden, welcher eine Zukunft schon um deswillen gesichert ist, weil die Gegenwart gerade nach dieser Richtung ungemein trübe erscheint. Ich gedenke jetzt nicht lang und breit von den Zwickauer Thesen zu reden oder von den Ausfällen der Bremenser Lehrerschaft oder von den Wunderlichkeiten – um es recht mild zu sagen – des Schulmanns Tews, der fragt, ob man wohl empfehlen könnte, den Buddhismus zur Religion zu erklären? Ich rede von dem allen nicht, ich weise vielmehr darauf hin, daß diese souveräne Verachtung der heiligen Schrift, diese furchtbare Auflehnung gegen die Offenbarung, die Schnödigkeit, mit der Jünglinge, denen der Staub des Seminars noch sehr im Rock sitzt, über alle Probleme in felsenhafter Sicherheit absprechen, zu den allerschwersten Errungenschaften der Neuzeit gehören. Der alte Rationalismus hat gearbeitet, er hat in seiner ledernen, poesielosen, kraftlosen Art das heilige Gotteswort wenigstens zersägt, die Kraft herausgenommen und dann allgemeine Tugendlehren herausgekocht. Aber es war doch noch eine Arbeit. Was jetzt geschieht ist keine Arbeit mehr, man fragt sich nicht einmal mehr, ob noch ein Stein zum Zukunftsbau brauchbar und diensam ist, sondern man verwirft den ganzen Bau und jeder möchte auch dabei sein, daß er den Eckstein aus dem Grund und den Schlußstein vom First herabhole. Es ist ein fanatischer Wetteifer, der gewiß durch die Kirche verschuldet worden ist; man hat in eine Zeit, die gar nicht im Stande war, nachzuprüfen und nachzudenken, halbfertige Resultate hineingeworfen, und nichts bläht den Menschen mehr auf, als die Halbwisserei; so stehen wir jetzt vor dem Anfang des Endes. Wir können für unsere Kirche gar nichts anderes tun, als daß wir uns, so bald wir können, auf Kirchenschulen einrichten. Diese Kirchenschulen werden meines Erachtens auf das alte Niveau mehr zurückgehen müssen, wo man auch etwas gelernt hat und solidere Kenntnisse sich aneignete als unsere jetzige vielwisserische Zeit. Man wird auch wieder Männer finden, die aus dem Schreck ihrer Sünde in den Trost des Evangeliums gelangt sind und zum Dank dafür ihr einfaches Wissen und Vermögen in den Ernst der Wahrheit stellen: „Warum hast Du Dein Antlitz verborgen und
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/73&oldid=- (Version vom 1.8.2018)