Wir wissen, die Spitze ist immer schmal; um so breiter, weil solider, sei der Aufbau. Es können nicht alle Leute – ich rede recht deutlich – auf der gleichen Höhe sein, aber es können alle fromm sein, es können nicht alle auf der Höhe der Erkenntnis stehen, aber alle in der Pistis, in der Frömmigkeit; es können nicht alle in die willentliche Erfassung der ewigen Dinge kommen, aber bei allen heißt es: „Ich danke dir von Herzen.“ So ist ein Mutterhaus Arbeitsgemeinschaft und so treibt es Seelsorge, daß es nicht der einzelnen Arbeit das Wort redet. Ich werde späterhin, wenn ich auf die Schularbeit zu reden komme, sagen, wie gefährlich es wäre, wenn in unserm Hause eine Spezialisierung der Arbeit und eine Bewertung nach mehr oder minder stattfinden wollte und wie leicht sich diese Gefahr erhebt.
Aber ein Mutterhaus treibt auch Seelsorge dadurch, daß es Interessengemeinschaft, rechte Interessengemeinschaft ist. Das höchste Interesse ist: Laß mich die Kirche Jesu bauen! Denn die Kirche ist wahrlich kein vager Begriff, sondern sie ist der Leib, den der Geist Sich erbaut hat; sie ist der Organismus, der dadurch so vielteilig ist, weil er eben im Glaubensleben beginnt. Ich rede nicht von der äußeren Erscheinung der Kirche; ihre Dürftigkeit und ihre Zerrissenheit beweist ihren einigen Grund; sondern ich rede von der großen heiligen, christlichen Kirche, von der Braut, die ihrem Herrn entgegenharrt, von der wartenden, betenden und weltüberwindenden Gemeinde der Gläubigen und rufe allen zu: das ist Interessengemeinschaft im Mutterhaus, daß man für die Kirche betet, arbeitet und hofft. Ich glaube, es wäre der allergrößte Undank, wenn unsere Häuser nicht, indem sie sich selber täglich reformieren, der Kirche den Mut machen würden, daß auch sie reformiert werden soll. Es ist in der fortgesetzten Lebensumwertung und Lebensumgestaltung, wie sie einem Mutterhaus, wenn es nicht trüb sein will, zusteht, eine Anwartschaft auf Umgestaltung und Neugestaltung der Kirche. Gerade in diesem Ringen eines Mutterhauses sehe ich das beste Verständnis für das Ringen der Kirche. Der Herr, der das Kleinere nie verlassen hat, wird auch dem Größeren, dessen Teil, dessen Abbild das Kleinere ist, sich nicht entziehen.
Und endlich: es sei Lebensgemeinschaft! ein Mutterhaus sei Lebensgemeinschaft!
Was hält die vielen Hunderte zusammen? Die gleiche Tracht? Gewiß nicht! Die gleiche Arbeit? Erst recht nicht! Denn die gleiche Arbeit stößt weit mehr ab, als sie anzieht, sondern die Gemeinschaft des Lebens Jesu nach und Jesu entgegen, die Innerlichkeit der Stellung zu dem Einen, was not
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/61&oldid=- (Version vom 1.8.2018)