reichlich erfahren: Wie viel braucht ein Mensch um sein Leben dürftig auf einer gewissen Höhe zu erhalten, der nicht auf der Höhe Jesu Christi bleibt!
Auch das ist mir eine Sorge, wohl eine der größten Sorgen für die gesamte Diakonie in den kommenden Jahren, daß wir zuviel Anregungen und Aufregungen und Reizungen und Abwechslungen und Konferenzen und Vorträge brauchen, während es doch heißt: „Sei im übrigen ganz still, du wirst schon zum Ziel gelangen.“ Wenn Sie merken, daß Sie ohne solche Zutaten nicht mehr arbeiten können, dann fragen Sie sich, ob es nicht weit ehrlicher sei, die Arbeit hin zu legen und in einen Beruf zu gehen, in dem man eben andere Zutaten ungestrafter Weise besitzen kann. Aber ich eile mit diesen Begriffen zum Schluß über Seelsorge, über mittelbare Seelsorge. Mittelbare Seelsorge ist das, was wir Mutterhaus nennen.
Hier setzt in meinen Augen und nach meiner durch fast zwei Jahrzehnte bewährten Ueberzeugung die Notwendigkeit der Selbsterhaltung ein, die keine Rücksicht kennt und die Menschen ins Mutterhaus zwingt, wenn sie sich nicht zum Mutterhaus stellen, zwingt zu dem Behuf, damit sie sich entscheiden und scheiden. Es ist nicht an dem, daß man von drei Wochen Ferien, die herzlich gegönnt sind, so ein wenig „herunter krümelt“ und den berühmten Abendsmahlssonntag in Dettelsau absitzt. Wenn das eintreten würde, dann müßte man die Sterbeglocke läuten. Darauf kommt es an, – ob mit Willen oder nicht, ob mit Liebe oder nicht – der Ernst des Gesetzes, den der Herr auch noch den Wiedergebornen verordnet, muß einsetzen und du mußt; wenn du nicht willst, so brechen und zerbrechen wir. Wer seinen Bruder, die Institution, die ihn schwesterlich aufgenommen hat, die er sieht, nicht liebt, „wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“ Die falsche Einstellung des Mutterhausbegriffes und die falsche Orientierung nach der Seite hin ist ein entschiedenes Zeichen, daß auch die Stellung zum Herrn nicht recht ist. Es müßte denn sein, daß das Mutterhaus auch die Stellung zum Herrn verläßt, und die Flucht vor ihm ein Zeichen ernstlicher Stellung zum Herrn wäre. Solange aber das Mutterhaus die Systematik derer ist, die von Christus begeistert Ihm nachfolgen wollen; solange im Mutterhaus diese eingehende, mütterlich prüfende, tiefgrabende Seelsorge geübt wird, solange muß das Mutterhaus daraufhalten und darüberhalten, daß seine Angehörigen alle sich zu ihm stellen, und zur Entscheidung drängen. Junge Schwestern werden noch nicht zur Entscheidung gedrängt; da wartet man; aber bei älteren muß das Mutterhaus, damit es seine Lebenskraft erzeige und nicht als eine tote Rebe vom Herrn weggestoßen werde, daran
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/59&oldid=- (Version vom 1.8.2018)