sondern die Gründlichkeit, und die Weite wirkt es nicht, sondern die Tiefe. Und so sehen wir mit einem gewissen Bangen, wie in den Diakonissenhäusern sich eine Sezession anbahnt, die längst vorauszusehen war: die Gemeinde derer, die da arbeiten um der Arbeit selbst willen, und derer, die da arbeiten um Gottes willen. Das ist doch wohl humanitäre Bewegung, wenn gearbeitet wird um der Arbeit willen, wenn man die Aufgaben nimmt, wie sie eben fallen, ohne sie doch einzustellen in den Gesichtswinkel, ob damit der Leib Christi erbaut werde; wenn alle Betätigung, die zugemutet ist, schlechtweg zur Erfüllung kommt, ohne daß man hinsieht, ob nicht weit bedeutsamer und ernster gemeinte Aufgaben vorher zu nehmen sind. Man verstehe mich recht: nicht die Bewegungen, die uns umdrohen, sind das, was mich ängstet – das sind bloß Symptome der scheinbaren Verinnerlichung, wie sie in den Gemeinschafts-Diakonissenhäusern sich regt und aus ihnen hervorleuchten möchte, wie die offenkundige Veräußerlichung, die der Diakonieverein treibt. – Die Hauptgefahr ist vielmehr die: Ist die Arbeit Selbstzweck oder ist sie Mittel, Gott zu ehren? Unsre Kirche hat zur Zeit ein Diesseitigkeitsgepräge: wir haben uns jetzt so an den Kampf um das Dasein, an den Streit um unsre Existenz gewöhnt, daß wir ganz vergessen, daß wir hinübermüssen und forteilen und hier keine bleibende Stätte haben. Die drei großen Feinde der Kirche: Romanismus, Humanitarismus, Modernismus würden ihr nichts anhaben können, wenn sie eine Ewigkeitsgemeinde wäre, durchdrungen von dem Verlangen, möglichst viele für die Ewigkeit zu gewinnen; es würden alle die großen, schweren Gefahren, welche unsre Kirche wie erzgepanzerte Feinde umringen, vorbeiziehen, wenn die Kirche mehr ihr Haupt emporheben und auf den Tag ihrer Erlösung vertrauensvoll warten würde. Ewigkeitsmenschen werden nie von Zeiterscheinungen gefällt, wohl angefochten, aber nicht überwunden. Wollen wir recht sagen, daß in dem Beruf der Diakonie, auf den ich jetzt besonders komme, ein einziges not ist; aus dem Leid der Kirche geboren, aus den Zeiten eines niedergehenden Lebens angeregt, mit den Zeiten beginnenden Lebens eingetreten, ist die Diakonie nur so lang Leben, als die Kräfte noch in Wirkung sind, die sie hervorgerufen haben, sie an diese Kräfte sich anhält und von ihnen zehrt, sie aber auch weckt und mehrt, wie es recht ist. Die ganze Diakonie, dieser Beruf, den der Herr Seiner Kirche je und je gegeben hat, der auch in den trübsten Zeiten nicht ganz erstorben war, wenn er auch vielleicht andrer Formen sich bediente, als die jetzt gebräuchlichen, will aus der Not, mit der Not und in der Not leben, damit einst nach der Not Beendigung die große Diakonie Jesu, die große Herrlichkeit in
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/47&oldid=- (Version vom 1.8.2018)