streitigen Aufgaben dem Herrn befehlen, Er wird es recht machen.
Ich wünsche ja so sehr, daß eine Zeit des ruhigen Gleichmaßes komme, eine Zeit des stillen Ausbaues, aber auch eine Zeit des beharrlichen Fortschrittes. Ich wünsche so sehr, daß diese 35 so verschieden an Gaben und Kräften und Wollen und Meinung in dem einen sich doch zusammenfinden möchten, wie sie das Wohl ihrer Kirche aufs beste fördern. Hat denn, so frage ich mich, die Kirche keine Zukunft mehr? Ist denn wirklich die Selbstzersetzung des Protestantismus bereits eingetreten? Hat nicht Gott unsre Vielgeschäftigkeit heimsuchen wollen, weil wir nicht ganz das sein mochten, was wenigstens der Herr von uns verlangte? Ich brauche in dieser Versammlung nicht erst zu sagen, daß aus jeder Zersetzung des Protestantismus, der wir entgegengehen, ein neuer Lebensprozeß sich entwickeln wird. Ich brauche nicht erst meiner unwandelbaren Ueberzeugung Ausdruck zu geben, daß die Pforten der Hölle all das, was auf den Fels Jesus gebaut ist, nicht überwältigen werden. Aber es wird erlaubt sein zu beten: „Und weil ich schwach, so lasse Du kein allzustark Versuchen zu“, und es wird erlaubt sein zu mahnen: „Heiliget Gott den Herrn in euren Herzen.“ Die Berufstreue ist ein Bollwerk gegen innerliche Zersetzung. Der Herr Christus, der für mich gestorben, ist der, der vor mir hergeht. Ich kann Ihn als den einen nicht fassen, wenn ich Ihn nicht als den andern habe, und wenn ich Ihn als den einen fasse, habe ich Ihn auch als den andern. Von dem Erlöser zum Vorbild, von dem Vorbild zum Erlöser! – Von dem, der für mich gestorben, zu dem, der vor mir Seine Straße zieht. Heiligung ist Erfassung des Heiligen und das führt weiter und wieder zur Heiligung. In diesem Wechselverkehr stehen beide. Wer in seinem Erdenberuf treu ist und ihn als eine Gottesgabe hinnimmt, der flüchtet aus der immer mehr sich zur Empfindung gebenden Untreue in die Vergebung und aus der Vergebung will er einen Dank der Heiligung zahlen. Wenn ich für Sein Erbarmen danke, so danke ich in der Nachfolge, und wenn meine Nachfolge so schwach ist, getröste ich mich wieder der Vergebung in Seinem Blut. Unsere Kirche kommt wieder zu ihrem Heiland, das weiß ich gewiß; die Frage ob ichs noch erlebe, trifft nicht zum Ziel. Man erlebt es täglich, unsere Kirche kehrt wieder zu ihrem Bischof zurück. Diakonissenhäuser sind Sammelhäuser der Treue. Hier wird das Gewissen für das Kleine geschärft, hier wird das Auge für die Unscheinbarkeit der Lebensbetätigung geöffnet. Hier hört man nichts anderes als die eine Weisung: „Rede Du, Herr, Deine Magd hört.“ Und darum, weil gefaßte, schlichte, ernste Lebenstreue
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)