Würde ich es nicht tun und weil ich es nicht kann, darum tue ich es erst recht nicht, ich will nicht weissagen, noch aussagen, was ich von diesen 35, die ich so ziemlich zu kennen glaube, denn das Auge der Sorge und das Auge der Liebe sieht scharf, für die kommende Zeit erwarte und befürchte. Zu den schwersten Enttäuschungen meines Lebens rechne ich doch die, wenn nach der Einsegnung die ganze Begeisterungslosigkeit und die ganze Armutei eines Menschen, der sich etwas hat einreden lassen und dann glaubte, es zu besitzen, hervortritt. Ich habe nach der blauen Schule wohl manche Enttäuschungen erlebt, manche frische Blüte war bald welk, denn der Staub fiel reichlich auf sie; ich habe nach den Einsegnungen nicht weniger Enttäuschungen erlebt, denn bei gar mancher wußte ich, sie werde eingesegnet, damit sie fertig, satt und sicher sei und den Freibrief nun gewinne, zu leben nach ihres Herzens Bedünken und sich loszulösen von einer geheiligten Vergangenheit, um eine armselige, dürftige Zukunft sich zu bereiten. Ob es bei diesen 35 auch so wird? Ob, was ein Sämann Jesu in Seinem Auftrag, als seines Herrn Jesu Wort letzmalig einzustreuen versuchte, Frucht bringen wird für Zeit und Ewigkeit, weiß ich nicht. Aber darum bitte ich den Herrn, Er wolle, und das weiß ich von Ihm, Er tut es, aus diesen 35 sich eine, ob auch kleine Gemeinde von echten, treuen und ernsten Dienerinnen erwählen. Er wolle es dahin bringen, daß rechte Teilnahme für die Sorge und Angst und Sünde des geliebten Mutterhauses in ihnen erwache, daß sie, gliedlich mit einem Hause verbunden, das ihnen so viel Gutes geschenkt hat, mit demselben und für seine Sorgen leiden.
Es ist, wenn ein Letztes in irgend einer Unterweisung, in irgend einer Tätigkeit in Seinem Reiche eintritt, nicht sowohl der Wehmut das letzte Wort zu gönnen, als der Freude, daß auf ein Letztes hier in dieser Beschränktheit der Zeit eine ewige und unvergängliche Herrlichkeit folgen werde. Es gehört, wenn Zelte abgebrochen und Arbeiten niedergelegt werden müssen, mit zu den größten Gedanken, daß man sich sagen kann: das Bleibende bleibt und was nicht bleiben kann, wird fallen je früher, je besser.
Der aber, der alle, die hier sind, mit einem ewigen und seligen Ruf berufen hat und in dieser Stunde seinen teuren Ruf wiederholt, der uns dazu befähigt hat, daß wir in Seinem Reiche unter Ihm leben und Ihm dienen, helfe aus Gnaden dazu, daß der stille, ernste, wortlose Dienst an dem hiesigen Ort nicht ersterbe, nicht zu Ende gehe und daß, wenn es nicht zu kühn gegriffen ist, diesem Ort vielleicht in ganz anderer Weise nach Jahrzehnten und Jahrfünfzigen der Ruhm werde: Hier dient man dem Herrn.
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)