ist es alt geworden und hat Runzeln und allerlei unschöne Züge bekommen, und nun denkt es der Tage seiner Jugend und kehrt zurück auf den Anfang seines Lebens. Es geht, wenn ich recht sehe, durch alle Diakonissenhäuser ein Zug von einem verlorenen Paradies, der doch unter Christen ein Zug nach dem kommenden ist. Es erheben sich die Stimmen, daß man das Außenwerk und die Beifragen zurücktreten lassen muß, damit das Bleibende und Ewige recht getrieben und sehr betont werde. Wir haben den Eindruck: So darf es nicht mehr weiter gehen: Es ist zu viel, das Spezialistentum und die Spezialitätenfragen und die Spezialfragen und all diese ermüdende Technik, die mit einem furchtbaren Aufwand von Zeit und Kraft herangenommen wird, und all diese Spezifika – das ist ein böses Ding. Nicht bloß die Spezialitäten, daß man sich in allen möglichen Betrachtungen über die Stellung der Johanniterin in einem Hause erregt, um nun in einem ungemein paragraphenreichen Elaborat die selbstverständlichsten Dinge gesagt zu haben, nicht das macht mich so ängstlich, daß soviel Papier verschrieben und so viel vergängliche Anweisung gegeben wird, die nicht ins Herz und Gewissen dringt, sondern auch das macht mich sehr sorglich, daß wir im Laufe der Jahre Spezifika, ganz bestimmte Sittenregeln, ganz bestimmte Sittengesetze von diakonissenhaft und nicht diakonissenhaft, von Diakonissensinn und nicht Sinn der Diakonissen herausgebildet haben; aber alle Ständemoral ist nur eine Abschlagszahlung gegenüber der großen Forderung Jesu: „Seid vollkommen, wie auch euer Vater vollkommen ist.“ Das ist nicht evangelische Art. Wenn aber jetzt durch unsere gesamte Diakonissensache, ich habe das wohl oft betont und habe von längst heimgegangenen teuren Vätern, von dem seligen D. Büttner, von Pastor Kuhlo, mehr als eine Zustimmung bekommen, wenn durch die jetzt vorhandenen Diakonissenhäuser und -Bestrebungen so ein müder Zug, so etwas Müdes und Grämliches geht und so viel Aeußerlichkeit sich findet, dann laßt uns wieder auf die Anfänge zurückgehen. Primitivität ist ja noch kein Zeichen der Echtheit und Ungeformtheit noch lange kein Zeichen der Wahrheit. Es gehört zu den alten satanischen Kunststücken, daß ein Mensch sich einbildet, er sei wahrhaftig, weil er herausschäumt – er ist nur unerzogen, aber nicht wahr. Wie es beim einzelnen noch lange kein rechtes Zeichen ist, so ist es auch ganz verkehrt, wenn in einer gewissen Biderbität die Echtheit im Diakonissenhause gesucht werden wollte. Nein, gegen die Veräußerlichung der Gesamtarbeit gibt es nur ein Mittel: Heiliget Gott den Herrn in eurem Herzen. Geht mit all dem, was euch bewegt, vor den Herrn, nehmt all die Möglichkeiten, die ein Gedanke zieht, und all die Folgen,
Hermann von Bezzel: Einsegnungs-Unterricht 1909. , Neuendettelsau 1910, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Einsegnungs-Unterricht_1909.pdf/121&oldid=- (Version vom 1.8.2018)