daß er nachher immer schwerer war. Das war ein gutes Zeichen. Er gedieh, hurra!
Aber eines Tages bemerkte man, daß das Baby am nächsten Tage vor der Flasche gerade so viel wog, wie am Tage vorher vor der Flasche. Das war ja äußerst seltsam. Da man keinen Mathematiker zur Hand hatte, blieb diese Erscheinung unerklärt.
Dann empfahl eines Tages die Bügelfrau das Idealrapidsäuglingskraftwachsnährpulver „Koloß“.
Man gab dem Kind abends eine tüchtige Dosis, und bereits am nächsten Morgen fand man das Baby aufgeschossen zur Größe eines zehnjährigen Jungen, mit den Beinen und den Armen aus der Wiege baumelnd vor. Entsetzen packte die Tanten und die Eltern.
Und das Kind wuchs sichtbar. Die Wiege brach zusammen.
Die Tanten flüchteten in die Heimat. Die Eltern ergaben sich dem Malzbier.
Niemand wagte mehr, nach dem Kinde zu schauen.
Der Junge hatte in wenigen Tagen die Größe eines ausgewachsenen Mannes mit dem Intellekt eines Säuglings.
Er ging ins Leben hinaus, geriet in die Diplomatenkarriere und brachte es in kürzester Zeit zu einer leitenden, hohen Staatsstellung.
Niemals ist das Land so auffallend gediehen, wie unter dem Regime des jungen Becker.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Leipzig: Ernst Rowohlt Verlag, 1911, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/018&oldid=- (Version vom 1.8.2018)