Residenzstadt, ein harmloser Mensch. Mit sanfter Stimme erkundigte er sich, was passiert sei.
Die Exaltation der beiden hysterischen Frauen ging über in ein reumütiges Heulen. Sie fielen den Schaffnern an die Brust und weinten ihnen die Uniform naß. „Ich habe die Notbremse gezogen!“ schrie schluchzend, von Tränen erstickt, die unglückliche Diva.
„Ja, das haben Sie getan, ich muß Sie an der nächsten Station vorführen,“ kündigte in strengem, dienstlichem Beamtenton der Zugführer an. Er verließ mit den Schaffnern das Abteil, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
Vorgeführt sollte sie werden? Himmel, das durfte nicht geschehen! Lieber die Flucht oder den Tod, wurde sich die Diva klar.
Plötzlich hielt der Zug wieder mit einem Ruck. Irre stierte Julie Briendöpke auf den Griff der Notbremse. Hatte sie wieder in ihrem Wahn unbewußt die Notbremse gezogen? Der Zug hielt auf freiem Felde vor einer Weiche. Raus! Fort! Und schon schwang sie sich aus dem Coupé. „Ich Unglückliche habe die Notbremse gezogen! Was kümmert mich Brünhilde, was kümmert mich mein Gastspiel? Fort, nur fort! Ich habe die Notbremse gezogen!“ schrie sie fortgesetzt. Zur fixen Idee war ihr das schreckliche Tun geworden. Fremde Leute, die ihr begegneten, wandten sich erschreckt zur Seite, schüttelten den Kopf und machten sich schleunigst aus dem Staube.
„Notbremse gezogen, Notbremse, was heißt das?“ murmelten andere verstört vor sich hin und schauten der
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/160&oldid=- (Version vom 1.8.2018)