Entsetzt richteten sich aller Blicke auf dieses schauerliche Hindernis. Einsam lag diese Tierleiche an dem Eingang der grauen Vorstadtstraße. Nur wenige Gassenbuben standen staunend dabei. Ein kleiner Pausback schlug das tote Pferd mit einer Kinderpeitsche. Der Schaffner stieg aus und beschloß, nachdem er mit prüfender, sachverständiger Miene den Kadaver lange beschaut hatte, das Pferd sei tot. Die Feuerwehr müsse kommen. Vorher schrieb er alle auf als Zeugen.
Julie Briendöpke starrte stier, völlig fassungslos auf dieses tote Pferd. Mit dem gellenden Schrei: „Ein Königreich für kein totes Pferd!“ sprang sie auf, stürzte aus dem Unglücksvehikel und raste in sinnloser Hast in irgendeiner Richtung, wo sie den Bahnhof vermutete.
Das tote Pferd stand ihr grauenhaft quälend fortgesetzt vor Augen. Verfolgte sie nicht diese furchtbare Vision? Es war grausige Wahrheit. Hufschläge folgten ihr, näher und näher hörte sie hinter sich das Klappern dieser toten Hufe auf dem Pflaster, das Schnaufen aus den welken Nüstern.
Die letzte Hoffnung. Sie sah den Bahnhof vor sich. In wahnwitzigen Sätzen querte sie den Vorplatz. Sie spürte schon den giftigen Atem des toten Pferdes im Nacken. Sie stürzte ohne Billett durch die Sperre, in den bereitstehenden und schon abgerufenen Zug, das Keuchen und Klappern des Pferdes hinter sich. Ein zwingendes Muß ließ sie beim Einspringen in ein Frauenabteil umschauen nach dem gräßlichen Verfolger. O Schrecken! – aus dem Pferde war ein unheimlicher, tiefschwarz gekleideter Mann von unbestimmtem Alter geworden, mit einer
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/157&oldid=- (Version vom 1.8.2018)