Auf dem ersten Rang erschien plötzlich eine elegante junge Dame mit einem Reihertuff auf dem Kopf. Sie sah sehr vornehm aus. Niemand kannte sie. Man verrenkte sich die Hälse, und die Operngläser wurden weißglühend. Ein Herr mit Schmissen im Gesicht reckte sich weit über die Brüstung, um die fremde Erscheinung genau zu sehen. Sein Kneifer fiel ins Parkett. Dann erschienen auf den vornehmsten Plätzen des Balkons Herr Geheimrat Talglicht Donnerkuhle mit seiner Gattin und acht Töchtern.
Das ganze Publikum war sichtlich erregt. Wer war die Dame mit dem Reihertuff?
Es klingelte zum zweiten Male. Im Parkett schoben sich noch zitternd und völlig konfus einige weltfremde Frauen und Männer hin und her in den Reihen. Sie konnten ihre Plätze nicht finden. Die Reihen erhoben sich, um die irren Suchenden durchzulassen, setzten sich und erhoben sich wieder, da die Unglückseligen ihre Nummer in dieser Reihe nicht fanden. Man murrte schon und blieb feindlich sitzen mit spitzen, vorgedrängten Knien. Beim Niederklappen klemmte man hie und da seinem Nachbarn den Rockschoß oder der Nachbarin die Volants ein. Das wurde dann sachlich erörtert. Manche vergaßen beim Niedersitzen den Sitz herunterzuklappen und setzten sich unfreiwillig zu tief.
Es klingelte zum dritten Male, und der Vorhang hob sich.
Die Terrasse auf dem Schloß in Helsingör. Bernardo sprach mit dem Posten. Auftritt von Horatio und Marcellus.
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/105&oldid=- (Version vom 1.8.2018)