Der Tierfreund
Möbus Enterich hatte schon in seiner Jugend eine ausgesprochene Vorliebe für Tiere. Tiere waren ihm lieber als Menschen, sogar lieber als Eltern und Geschwister.
Das erste Tier, das ihn besonders fesselte, war der Mehlwurm. Der Gärtner Felix Grassam von nebenan beschäftigte sich außer seinem Gewerbe noch mit der Vogelzucht. Als besondere Leckerbissen für seine Vögel zog er in mit Kleie gefüllten Kisten Mehlwürmer. Möbus, der sich viel bei dem Gärtner herumtrieb, interessierte sich ungemein für diese Tiere, die erst Würmer waren, dann eines Tages kleine, weiße Dinger wie Bonbons und schließlich über Nacht braune Käfer wurden wie durch eine Zauberei. Das war ihm unerklärlich und beunruhigte ihn maßlos. Der Gärtner sagte, das täten die Mehlwürmer immer, vielleicht weil sie sich langweilten, die weißen Bonbons nenne man Puppen. Vater und Mutter Enterich waren ungehalten und verboten ihm, sich mit solchen häßlichen Tieren zu beschäftigen. Die Tante Pöpel sagte, so was: einmal Wurm, einmal Käfer, das sei gelogen und Lügen sei eine Sünde. Man schenkte Möbus ein kleines aus Holz gemachtes, mit weißer Watte beklebtes Schäfchen, das auf einem grünen Brett mit vier Rädchen lief und, wenn man am Schwanz zog, mäh, mäh hören ließ. Das Schäfchen war Möbus von vornherein schon zu dumm und zu langweilig.
Eines Tages bekam er vom Gärtner Grassam auf fortwährendes Bitten und zehn Zigarren, die er dem Vater gemopst hatte, eine Zigarrenkiste mit Kleie gefüllt,
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/075&oldid=- (Version vom 1.8.2018)