Seide beschaffen. „Nehmen Sie grün anstatt blau, grün ist der Frühling und die Au,“ sagte eine belegte Stimme von oben ziemlich gereimt.
Die Tante war, weil es wie eine Offenbarung war, mit Grün nunmehr einverstanden. Man stieg hinab in das Unterhaus, wo die bunten Seiden waren. Nach einem dreiwöchigen Suchen und Prüfen entschloß sie sich für Spinatgrün. Zwanzig Verkäuferinnen lagen tot am Boden, vier Ressortchefs waren völlig pathologisch geworden. Ein Elektrotechnicker fraß Glühbirnen.
Die Tante forderte noch rote Seide als Besatz. Tableau! Ich legte mich auf den Boden und biß in die Blasen, die sich im Linoleum des Bodenbelags gebildet hatten. Die Verkäuferinnen flüchteten mit Grauen vor dem Wunsche der Tante.
Ich machte mein Testament.
Man probierte. Das Rot paßte nicht auf das Grün. Zehn Browningschüsse. Zwei Verkäuferinnen tot.
Vier Jahre später fand man ein passendes Stück roter Seide. Die Verkäuferin, die das Stück fand, war eine Waise. Die Tante schenkte ihr aufgeweichten Lakritz aus der warmen Tasche.
Meine Augen hingen sehnsüchtig an den Lippen der Tante: Der Blusenkauf war beendet, mußte sein Ende gefunden haben. Ich Tor. Ich war ein alter Mann geworden, und ein langer Bart hing mir über die Brust. Die Fräuleins, die die durch die Tante heraufbeschworene Katastrophe überlebt hatten, waren teilweise Urgroßmutter, andere Großmutter.
Der Schlag soll mich treffen! Die Tante öffnete ihr
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/049&oldid=- (Version vom 1.8.2018)