bleiches Gesicht war hektisch gerötet, die Warze an der Nase war zu einem Apfel angeschwollen, mit zitternden Händen wühlte sie in der Seide, prüfte den Stoff und die Farbe, bat das Fräulein in Schwarz, mit dem betreffenden Stück auf die Straße zu gehen, um die Farben bei Tageslicht beurteilen zu können. Etwa 1200mal lief sie, begleitet von einer Verkäuferin, die immer durch eine neue ersetzt werden mußte, da sie haufenweise vor Ermattung zusammenbrachen, die Strecke von der Seidenabteilung bis zum Ausgang. Ich rannte im Anfang getreu als Sachverständiger für Farben mit, verlor dann aber die Lust zu rennen, nahm mir ein Auto und fuhr neben der Tante hin und her.
Die Tante konnte sich nicht schlüssig werden, hin und her raste sie, den armen Verkäuferinnen zum Verderben. Die Haarnadeln der Tante wurden weißglühend.
Alle Farben der Welt zogen vorbei, nur kein Blau, was die Tante von vornherein nicht wünschte. Nun fiel ihr ein, daß es ein bestimmtes Blau gebe, das ihr sehr gut zu Gesicht stehe. Ob man nicht dieses Blau habe? Einige der Verkäuferinnen, die aus den Strapazen der Rennerei ihr schwaches Leben gerettet hatten, schleppten sich an die Regale und erklärten mit müden Stimmen, blaue Stoffe seien auf der zehnten Etage. Die Herrschaften möchten sich hinaufbemühen. Ich habe mit dem Nordpolfahrer Cook den Mount Mac Kinley in Lackschuhen bestiegen; jetzt schauderte mir vor der zehnten Etage. Die Tante war nicht zu bewegen, den Lift zu benutzen. Sie machte sich, trotz ihrer geschwollenen Ballen, an den Treppenaufstieg zur zehnten Etage. Ich drückte mich in den Aufzug
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/047&oldid=- (Version vom 1.8.2018)