Sie von Loebell sagen, ist sehr wahr: aber dieses Dürre in seiner Schreibart hält er für sein Bestes.
Wer kann überhaupt schreiben? Nur wenige. Sie sollten einmal etwas Großes, Größeres als Briefe, unternehmen, wenn es auch nur für mich ganz allein wäre. Sie finden wunderbar den Ausdruck für niemals ausgesprochene Gedanken und Empfindungen. Auch fassen Sie dergleichen besser und schneller, lebhafter, als alle Menschen: wer hat wie Sie die Briefe des Magisters im jungen Tischler[1] so gewürdigt? Wer mich ganz so verstanden? Was ist das nur, wenn Geister sich so begegnen? Welcher Geist befruchtet alsdann den andern? Wie gränzt Wahnsinn, Albernheit, Unsinn an den tiefsten und höchsten Gedanken in uns? Was lebt, denkt, webt, ahndet, fühlt, schaut in unserm materiellen Gehirn? Sie glauben nicht, wie nahe ich in meiner sehr frühen Jugend oft dem Wahnsinn war: manchmal in Verzweiflung und Melankolie[2], oft aber auch in der höchsten Entzückung. Was sind wir Sterblichen? Wozu sind wir da? Was wird aus uns werden? „Wir sind solcher Zeug, woraus die Träume gemacht sind.“[3] Wie aber, wenn im Traum das wahrste, ächteste Leben wäre? Das Sein in dem, was wir Nichtsein nennen Ohe! genug!
Bitte, bitte, an Kraukling zu denken. | Ewig | |
Berlin, den 14ten Merz 1847. | ganz der Ihrige | |
Friedrichs-Straße 208. | L. Tieck. |
Indem ich Ihren Brief immer wiederholt wieder lese, rührt es mich immer von Neuem, daß Sie sich so unendlich liebevoll und gütig gegen mich aussprechen. Ich bin in meinem neulichen Briefe gar nicht auf das unglückliche Kapitel von Gutzkow eingegangen; was läßt sich darüber sagen: Sie haben vollkommen Recht. Es ist unbegreiflich und doch dem, der die hiesigen Verhältnisse und Individualitäten kennt, vollkommen verständlich, und das prognosticum, was Sie stellen, kann nicht fehlen einzutreffen. Das Alles habe ich gesagt, wiederholentlich, und wahrlich, bei allem Schlimmen, was daraus entstehen wird, kann ich wenigstens zu meiner Beruhigung mir sagen, daß nichts kommen kann, was ich nicht auf das Grellste und Schärfste in's Licht gestellt vorher durch meine Warnung. Gutzkow hat 500 Thaler Gehalt[5].
- ↑ Der junge Tischlermeister, eine zweibändige Novelle, deren erster Entwurf aus dem Jahre 1795 stammt, erschien 1836. Der durch Goethes Wilhelm Meister angeregte Bildungsroman schildert die Geschichte eines hochgebildeten, ästhetisch veranlagten jungen Handwerkers. Vgl. Berend a. a. O. XLIII f.
- ↑ Schwere Pein bereitete Tieck das Verhalten seines Jugendgefährten Friedrich Heinrich Bothe, der sein stürmisches Liebeswerben immer von neuem mit eisiger Kälte zurückwies: Trübsinn und Schwermut waren die Folge dieser schmerzlichen Enttäuschung. Auch der unerwartete Tod zweier Freunde, von denen der eine durch kindische Torheit zugrunde ging, der andere durch ein Nervenfieber dahingerafft wurde, ließ Tieck vorübergehend am Leben verzweifeln (Köpke a. a. O. I 64 f., 96 f.; Berend a. a. O. XIX f.).
- ↑ Ausspruch Prospero's in Shakespeare's Sturm IV, 1. Er lautet:
We are such stuff
As dreams are made on, and our little life
Is rounded with a sleep,in der Schlegelschen Übersetzung wörtlich:
Wir sind solcher Zeug
Wie der zu Träumen, und dies kleine Leben
Umfaßt ein Schlaf. - ↑ Von Zaunick auf Grund der in der Preußischen Staatsbibliothek befindlichen Abschrift in Carus, Lebenserinnerungen V 111–116, erstmalig veröffentlicht.
- ↑ Die Zahl muß, wie Zaunick (a. a. O. 194) treffend bemerkt, falsch abgeschrieben sein, da Gutzkow kontraktlich ein Jahresgehalt von 800 Talern bezog. Vgl. Rudolf Göhler, Gutzkow und das Dresdener Hoftheater im Archiv für Theatergeschichte I, 1904, 111.
Herausgeber: Otto Fiebiger (1869–1946): Ludwig Tieck und Ida von Lüttichau in ihren Briefen. i. A. des Dresdner Geschichtsvereins, Dresden 1937, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Heft32VereinGeschichteDresden1937.pdf/33&oldid=- (Version vom 23.11.2023)