unterrichtet, da er ja vom Tode seiner Mutter noch nichts weiß.
Dr. Meyer war gegen 1/2 7 Uhr nochmals bei Frau Longard u. anschließend kam er zu uns auf einen Augenblick herein. – Herr Triebsch hat bei Budde den Sarg in Auftrag gegeben, morgen soll die Einsargung sein, die Frl. Wunderlich vornimmt. Dieses Frl. Wunderlich ist die Schwester des Wustrower Pfarrers Wunderlich. Sie hat seit einiger Zeit die Funktionen einer Totenfrau übernommen u. sie macht diese Arbeit sehr gut u. gewissenhaft, Bemerkenswert dabei ist, daß die frühere Totenfrau ebenfalls Wunderlich hieß, sie hat dieses Amt sehr lange Zeit innegehabt, bis sie zu alt war.
Heute war erstmalig Herr Triebsch bei mir um 4 Uhr bis 5 Uhr. Ich halte ihm Vorträge an Hand des Buches „Der Herr“ von Guardini, was mir selbst gleich von Nutzen ist, da ich die Gedanken selbst erarbeiten muß.
Fritz ist von Berlin gekommen. Er hat Dr. Longard mitgebracht, der abends Besuch machte, jedoch überließ ich ihn Martha allein. Fritz hat außerdem die Sekretärin von Becher mitgebracht. B. will am 1. Mai bereits hier sein u. im Hause Reinmöller wohnen. Auch sonstige Prominente des Kulturbundes aus Berlin werden erscheinen. Fritz brachte einen Teil des Inhaltes des Care Paketes mit, amerikan. Zigaretten, Kekse, Schokolade usw., den Hauptteil hat er in Berlin in Päckchen verpackt u. per Post geschickt, da das sicherer ist angesichts der sog. Polizei-Kontrollen, die in den Zügen u. auf den Bahnhöfen stattfinden u. bei denen man gewöhnlich alles einbüßt, was man bei sich hat. Fritz erzählt anschaulich von der Unsicherheit in Berlin selbst u. unterwegs. Es herrschen trostlose Zustände u. man weiß nicht, wie wir je da herauskommen sollen. Die Moskauer Konferenz geht ihrem Ende entgegen u. es ist bis jetzt noch garnichts dabei herausgekommen. Es scheint, daß England u. Amerika die Konferenz absichtlich sabotiert haben, um Molotow zu drücken, der ja sonst alles sabotiert, u. der allzu frech geworden ist. Aber wir sind in diesem Spiel die Prügelknaben.
Von Herrn Strohschnitter, der nun schon vor 3 Wochen von den Russen verschleppt wurde, hat man bis heute noch nichts wieder gehört.
Nachmittags besuchte mich Dr. Longard, mit dem ich zum ersten Male in ein Gespräch kam. Er öffnete mir in einer überaus gewinnenden u. schlichten Weise sein Herz, sodaß ich sofort ein sehr warmes Gefühl für ihn bekam. Er sprach mit kindlicher Liebe von seiner Mutter u. dann von sich selbst. Mit tränenerstickter Stimme sprach er davon, daß er so gern Priester geworden wäre, wozu er auch gewiß eine gute Anlage besessen hat, er wäre ein guter Benediktiner geworden. Gott hat es wohl nicht gewollt.
Heute nachmittags 3 Uhr beerdigten wir Frau Longard. Der Sarg stand im Hintergrunde der Veranda, deren Fenster mit Teppichen verhängt waren. Tannengrün, Taxus u. Schneeglöckchen bildeten einen schönen Schmuck. Die Trauergäste saßen im vorderen Teil der Veranda oder standen im angrenzenden Zimmer, es mögen an 30 Menschen gewesen sein. – Zuerst sprach Dr. Longard im Namen der Geschwister einige herzliche u. schlichte Worte des Dankes u. des Abschieds
Hans Brass: TBHB 1947-04-15. , 1947, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1947-04-16_001.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2025)