So bin ich wieder gegangen. Der Weg zweimal hin u. her hat mich genug angestrengt, ich werde schlafen u. morgen früh für ein gutes Frühstuck sorgen, wenn M. nachhause kommt. Auch werde ich den Ofen heizen, obschon es heute etwas wärmer war u. besonders jetzt gegen Abend den Anschein erweckt, als wollte es endlich wärmeres Wetter werden.
Vormittags packte ich die letzte Bilderkiste aus, in welcher der „Aufbruch“ war. Ich brachte das Bild gleich herüber ins große Haus denn ich hatte alle Kisten in der Bunten Stube abstellen lassen u. dort ausgepackt. Ich sah, daß dieses Bild doch sehr erhebliche Mängel hat u. ich werde noch daran arbeiten müssen.
Martha kam morgens um 1/2 8 Uhr von Frau Longard zurück. Die Nacht war ohne Zwischenfall verlaufen. Wir frühstückten u. M. legte sich dann gleich hin bis zum Mittagessen. Um 2 Uhr gingen wir wieder gemeinsam zu Frau L., die in einem verhältnismäßig guten Zustande war. Erna sagte, daß Frau L. sehr oft nach mir gefragt hätte. Sie erkannte mich u. freute sich. Wir beteten dann wieder gemeinsam sehr lange, wobei sie sich sehr beteiligte, in dem sie das Vaterunser u. das Ave mitbetete u. das Kreuzzeichen machte u. wenn sie eines meiner Gebete kannte wie z. B. „Seele Christi ...“, dann freute sie sich u. betete mit. Gegen 4 Uhr gingen wir wieder u. da wir bis zum Abend keine Nachrichten erhielten, ist es sicher, daß ihr Zustand sich nicht verändert hat. Sie schlief, als wir gingen. –
Abends kamen Herr u. Frau Wegener. Er brachte einen Mietvertrag für das Monheimsche Haus für die Firma Kramer – Ribnitz, über den er u. Herr Kramer schon früher verhandelt hatten u. der m. E. günstig für Monheim ist. Da Herr Monheim mir Vollmacht erteilt hat, unterschrieb ich ihn. – Herr Kramer selbst ist schon vor einiger Zeit, etwa 14 Tage bis 3 Wochen, verhaftet worden. Es liegen politische Gründe vor, da er Nazi war. Man will ihn aus dem Betrieb raus drängen u. es ist ein junger Mann, – Kommunist –, als Treuhänder eingesetzt, der natürlich nichts versteht. Jedenfalls geht der Betrieb trotz der Verhaftung weiter. Kramers Frau ist, als er verhaftet wurde, unter nicht ganz klaren Umständen verstorben, man sagt, sie habe Selbstmord begangen.
Heute war endlich etwas wärmeres Wetter bei Sonnenschein, es ist anzunehmen, daß diese Wärme langsam zunehmen wird, obgleich das Meer immer noch voll Eis liegt. Auch gibt es hier u. da noch Schneereste.
Herr Triebsch hat mich um weitere religiöse Unterweisung bitten lassen, er wird jetzt jeden Mittwoch Nachmittag 4 Uhr zu mir kommen.
Gestern Abend um 1/2 10 Uhr hat Frau Longard ihren letzten Atemzug getan.
Vormittags hatte ich gemalt. Seit vielen Wochen wieder zum ersten Male. Ich habe das Bild „Aufbruch“ nochmals auf die Staffelei gestellt u. sehr radikal hineingemalt. Die Physiognomie des Kindes habe ich völlig weggestrichen u. das Kind ganz in abstrakte Formen aufgelöst. Heute habe ich weiter gearbeitet u. die Abstraktion noch weiter durchgeführt. Das Bild wird auf diese Weise völlig neu.
Hans Brass: TBHB 1947-04-12. , 1947, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1947-04-13_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2025)