Notiz von mir. Nachdem ich eine Weile bei ihr gesessen hatte, fing ich an, sehr langsam zu beten, mit großen Pausen. Nach etwa einer Stunde hörte das Röcheln auf u. der schmerzliche Ausdruck wich von ihr. Sie fing langsam an, die rechte Hand u. den Arm zu bewegen. Ich betete noch eine zweite Stunde, dann war sie so weit, daß sie mitbetete, was an ihrem Ausdrück zu sehen war. Ich schloß dann mit einem Vaterunser u. einem Ave, wobei sie versuchte, die Worte mitzusprechen. Als ich dann aufhörte, dankte sie mir u. drückte mir wieder die Hand, aber diesmal nicht mehr so kräftig, wie das letzte mal. Es geht rasch abwärts mit ihr u. ich glaube nicht, daß sie die kommende Woche noch überleben wird.
Das Wetter war heute klar, aber eisig kalt. Immer noch liegt das Meer voll Eis.
Herr Strohschnitter, der viel zwischen Hamburg u. hier hin u. her reist, ist unterwegs von den Russen verhaftet u. verschleppt worden. Niemand weiß, wo er geblieben ist. – In Ribnitz bauen die Russen ab, es heißt, daß sie ganz aus Ribnitz rausgehen werden.
In Moskau hat es immer noch keine Ergebnisse der Konferenz gegeben.
Nachmittags gegen 6 Uhr kam das eine Frl. Horn, furchtbar aufgeregt, u. bestellte mir, daß Frau Longard im Sterben läge. Kurz vorher war Martha hingegangen u. ich hatte gesehen, daß Dr. Meyer mit seinem Motorrad von dort herkam, er mußte also Martha mindestens unterwegs getroffen haben. Ich machte mich sofort auf den Weg. Frau L. lag im Bett u. atmete sehr stark mit offenem Munde, die Augen geschlossen, offenbar schlafend oder bewußtlos. Martha war da, dazu Erna u. die beiden Frl. Horn. Martha sagte mir, daß sie Dr. M. gesprochen hätte, der gesagt hätte, daß der Zustand sehr ernst sei, doch könne man nicht sagen, wann der Tod eintreten würde, es könne auch noch etwas dauern. Er habe ihr eine Spritze gegeben, da sie Schmerzen hatte. Ich forderte alle auf, mit mir zu beten, doch war die Ausdauer nicht allzugroß. Meines Erachtens war die Lage nicht so, daß man mit einem Sterben zu dieser Zeit rechnen konnte. Inzwischen kam auch Frau Triebsch, die sofort bereit war, die Nacht dort zu bleiben, sie ging nur nachhause, um vorher ihren blinden Mann zu versorgen. Martha u. ich gingen ebenfalls nachhause, um zum Abend zu essen u. Martha wollte von der Post aus an Dr. Longard nach Berlin telephonieren. Sie bekam auch den Anschluß u. teilte ihm mit, daß mit dem Ableben der Mutter immerhin jeden Augenblick gerechnet werden müsse. Dr. L. versprach, sofort herzukommen, aber es wird keinesfalls möglich sein, morgen am Sonntag eine Reisegenehmigung zu bekommen, ohne die man keine Fahrkarte erhalten kann. So wird er kaum vor Dienstag hier sein können. M. rief dann noch Dr. Meyer an, der aber nichts weiter sagen konnte. – Wir gingen dann abermals zur Frau L., die wir im gleichen Zustande antrafen, eher etwas besser als schlechter, sodaß es mir unwahrscheinlich schien, daß der Tod in dieser Nacht eintreten könnte. Martha u. Frau Triebsch wollten zusammen die Nachtwache übernehmen u. beide redeten mir zu, wieder nachhause zu gehen, was unter diesen Umständen in der Tat das Vernünftigste war.
Hans Brass: TBHB 1947-04-11. , 1947, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1947-04-12_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2025)