hätte, ich möchte in ihrer Sterbestunde bei ihr sein u. mit ihr beten. Sie wiederholte das zwei oder drei mal. Dann drückte sie mir zweimal die Hand mit einer solchen Kraft, daß ich darüber überrascht war.
Es ist immer noch sehr kalt draußen, das Meer liegt noch voller Eis, man friert mehr jetzt als im Winter, da wir die Heizung nicht mehr anmachen wegen Holzmangels.
Fritz fährt morgen nach Berlin, um das Care=Paket zu holen. Fahrkarten nach Berlin kann man nur in Stralsund oder in Schwerin bekommen. Da sie nur in beschränkter Anzahl ausgegeben werden, kann es passieren, daß Fritz einen Tag in Schwerin sitzen bleibt. – Diese Russen quatschen vom Wiederaufbau der Wirtschaft, machen aber gleichzeitig das Reisen fast unmöglich u. Briefe von hier nach Bln. brauchen 14 Tage bis 4 Wochen. Ihre Reden vom Wiederaufbau ist nichts als heuchlerisches Gerede u. die Leute von der SED. machen das mit, nein, sie überbieten noch die Russen. Und auf der Moskauer Konferenz, die nun schon 4 Wochen tagt, ist bisher noch über keinen einzigen Punkt eine Einigung erzielt worden.
Endlich ist das Eis auf dem Meere aufgerissen, auch auf dem Bodden fängt die Fischerei wieder an, die seit Anfang Dezember geruht hatte. Trotzdem war es heute wieder sehr kalt, am Tage nur 2 – 3° Wärme.
Fritz ist heute früh abgefahren.
Das Eis ist zwar aufgerissen, aber dennoch liegt das Meer auch heute noch voller Eis u. es war heute wohl möglich noch kälter als gestern.
Heute sind endlich meine Bilder aus Schwerin zurückgekommen, nachdem sie seit Dezember in Ribnitz in der Güterabfertigung gestanden haben, ohne daß eine Möglichkeit bestanden hätte, sie herzubringen. Jetzt hat der Ribnitzer Spediteur sie nach Wustrow gebracht u. Spangenberg hat sie hierher gefahren.
In der letzten Nacht hatte ich einen wunderschönen Traum, dessen Merkwürdigkeit darin besteht, daß ich ihn fast ganz vergessen habe, aber dennoch den ganzen Tag unter dem Eindruck eines schönen u. großen Erlebnisses stehe. Ich weiß bloß noch, daß ich wundervolle Backstein-Architekturen sah, vor allem einen sehr großen, kirchenartigen Raum mit hohen Wänden u. zwei spitzen Giebeln, aber ohne Dach. Der Begriff des Klosters war, irgendwie damit verbunden, obwohl viele Menschen dort waren wie in einer öffentlichen Bibliothek. Auch ein sehr großes Wasserbassin spielte eine Rolle, sowie eine lange Uferstraße an einem Kanal oder Fluß mit Brücken. Sonst weiß ich nichts mehr
Martha war bei Frau Longard, die einen sehr apatischen Eindruck machte u. nach mir verlangte. Ich werde morgen wieder zu ihr gehen, das Gebet scheint ihr sehr wohlgetan zu haben.
Vormittags die Bilderkisten ausgepackt bis auf eine in der das Bild „Aufbruch“ enthalten ist. Bis jetzt sind alle Bilder in gutem Zustande, nur die Rahmen sind teilweise arg mitgenommen, aber das läßt sich reparieren.
Nach Tisch ging ich zu Frau Longard, die ich in einem überaus schlechten Zustand antraf. Sie saß im Liegestuhl mit geschlossenen Augen, die Augen schon tief eingefallen der Mund offen u. keuchend. Sie machte den Eindruck, als könne sie jeden Augenblick sterben. Sie erkannte mich nicht, nahm garkeine
Hans Brass: TBHB 1947-04-08. , 1947, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1947-04-09_001.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2025)