sei u. wir berieten, auf welche Art man dieses Paket von Berlin hierher schaffen könne, da die Russen es vorläufig noch nicht zulassen, solch große Pakete mit der Post zu senden. Es scheint das beste zu sein, wenn Fritz dazu selber nach Bln. fährt u. es abholt, – eine furchtbare Anstrengung mit großen Kosten, aber der reiche Inhalt des Paketes lohnt sich. Bis 8 Uhr abends las ich noch etwas, wir tranken dann Tee u. aßen Brot nachher lasen wir die „Neue Zeitung“, von der drei Exemplare aus Berlin geschickt worden waren. – Das war das ganze Osterfest – entsetzlich dürftig. –
Der Hahn ist nach wie vor krank. Wir wollten eigentlich zu Frau Longard, aber auch Martha war dazu zu müde. Ich selbst hatte schon gestern starke Schmerzen im Bein infolge des Wetters u. konnte den Weg nicht mehr machen.
Der heutige Tag entschädigte für gestern insofern, als er sehr still u. ungestört verlief. Vormittags war die alte Frau Rewoldt da u. brachte Milch, einige Eier u. für mich Tabak. Nach Tisch ging Martha zu Frau Longard, deren Schwäche weiter zunimmt, ohne daß man sagen könnte, daß mit ihrem Ableben bald zu rechnen wäre. Ihre Zunge scheint stärker gelähmt zu sein, sodaß man sie nur noch schwer versteht. Martha erzählte ihr von der Taufe bei Triebsch, worüber sie sich sehr freute. Geistig ist sie nach wie vor regsam, wodurch ihre Schwierigkeit zu sprechen doppelt leidvoll ist. – Ich selbst verbrachte den Tag mit Lesen in Guardini „Der Herr“. – Abends kamen Küntzels, jedoch ohne sich länger als einige Minuten aufzuhalten. Nach dem Abendessen wollte ich Martha aus dem Christusbuch von Bartmann vorlesen, aber es gab kein Licht. Wir beteten in der Dämmerung den Rosenkranz u. gingen um 9 Uhr schlafen, bzw. ich ging in mein Zimmer u. stellte im Dunklen eine Betrachtung an über die Auferstehung. Um 1/2 10 Uhr ging dann doch noch das Licht an.
Heute morgen mußte ich den Hahn schlachten, es ging nicht mehr mit ihm. Es war mir sehr schmerzlich.
Nach Tisch ging ich zu Frau Longard, die ich in einem überaus bedenklichen Zustande antraf. Sie saß völlig apatisch in ihrem Liegestuhl, das Gesicht eingefallen mit offenen Augen, den Blick jedoch zur Seite gerichtet. Sie sah mich nicht an, obgleich sie es wohl verstand, als Erna ihr sagte, daß ich gekommen sei. Das Gesicht war so verändert, der Mund so eingefallen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ich war sehr erschüttert. Ich hatte mir in dem von mir täglich benützten Gebetbuch eine Reihe von sehr schönen Gebeten angemerkt, die ich ihr vorbeten wollte, aber ich war im Zweifel, ob sie mich überhaupt hören würde. Schließlich versuchte ich es doch. Da ging sehr bald eine starke Veränderung mit ihr vor. Gesicht u. Blick belebten sich, der Mund wurde wieder normal u. während sie vorher alle paar Minuten gegähnt hatte, war sie jetzt ganz Aufmerksamkeit. Ich betete ganz langsam mit großen Pausen, um ihr Zeit zu lassen, jeden einzelnen Gedanken in sich ausreifen zu lassen. So betete ich wohl eine Stunde. Danach war sie ganz lebhaft. Sie versuchte, zu sprechen, sie dankte mir u. sagte etwas von ihrer Sterbestunde u. daß sie –, wenn ich sie recht verstanden habe –, den Wunsch
Hans Brass: TBHB 1947-04-06. , 1947, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1947-04-07_001.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2025)