deshalb aufgab. Da dies grade zufällig mit dem Aufkommen der Nazis zusammenfiel, war mir in all diesen Jahren der Gedanke quälend, daß er glauben konnte, ich hätte deshalb den Verkehr mit ihm abgebrochen. Nun erschien er heute also wieder u. ich konnte feststellen, daß er diesen Gedanken wohl doch nicht gehabt hat. Er erzählte von seinen Schicksalen in der Nazizeit, die natürlich nicht leicht waren, aber sonst ist er genau wie früher. Solange er auf der Terrasse mit uns saß u. seine Geschichte erzählte, war er auch ganz nett, aber als ich dann mit ihm raufging, um ihm meine Bilder zu zeigen, kam auch dieser jüdische Intellekt wieder zum Vorschein u. reizte mich. Er bleibt 14 Tage hier u. ich bin froh, daß ich eine Woche davon in Rostock sein werde.
Während ich ihm meine Bilder zeigte, kam die Frau von Robert Schneider. Sie berichtete aus Berlin, daß die Russen nach wie vor Industrien abbauen u. Erzeugnisse beschlagnahmen, sodaß es fast ausgeschlossen erscheint, daß sich die Wirtschaft erholen kann. Alles, was über den angeblichen Wiederaufbau in der Zeitung steht, ist Wahlmache der SED. Auch Hoffmann, der doch schließlich Grund hätte, den Russen u. der SED. Sympathie entgegenzubringen, hat nur ein vernichtendes Urteil darüber. Ebenso sehen die Landleute hier die Sachen an. Es werden von ihnen sehr hohe Abgaben gefordert, doch steht darüber natürlich kein Wort in der Zeitung. Es scheint fast so, als ob dieser Winter noch schlimmer werden würde, als der letzte, wenn man den glauben darf, was die Landleute sagen.
Morgen muß ich meine Bilder verpacken, es wird viel Arbeit machen. Es werden dann sämtliche Bilder von mir fort sein, sodaß ich, wenn ich von Rostock zurück komme, ganz von vorne wieder anfangen kann. Es ist, als ob damit eine Periode ihren Abschluß gefunden hätte.
Es geschehen wirklich merkwürdige Dinge. Nachdem ich heute mit Hilfe des jungen Konow u. unter erheblicher Anstrengung die sieben Bilderkisten zurecht gemacht u. außerdem alle Zeichnungen u. Aquarelle verpackt habe, sodaß alles für den morgen vorgesehenen Abtransport vorbereitet war, erhalte ich abds. um 9 Uhr eine Postkarte, die eigentlich erst morgen vormittag ausgetragen wird. Die Karte ist von Herrn Dr. Gräpke aus Rostock. Er teilt mir mit, daß erkrankt sei u. daß er mich bittet, „den in Aussicht genommenen Termin zunächst nicht als bindend anzusehen.“ Er schreibt weiter: „Wir müssen das Weitere verabreden, wenn ich wieder ganz auf dem Posten bin.“ – Wann wird das sein? Vielleicht zu Weihnachten –! vielleicht nie –!?
Ich habe noch heute Abend ein Telegramm an Herrn Dr. G. aufgegeben mit Rückantwort u. habe um Auskunft gebeten. Sodann habe ich an den Landessender Schwerin geschrieben, daß es mir unter diesen Umständen zu unsicher sei, ob ich dort sprechen soll u. deshalb lieber verzichte. Diesen Brief nimmt Kurt Spangenberg mit, der morgen nach Schwerin fährt. Agnes Eggert fährt morgen nach Rostock u. ich habe sie gebeten, zu Herrn Dr. G.
Hans Brass: TBHB 1946-09-01. , 1946, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-09-02_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2024)